Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Harmonische Analyse

O du fröhliche

Wenn man damit beginnen möchte, Stücke harmonisch zu analysieren, braucht man natürlich zunächst Kenntnisse über Akkordaufbau und die Bezeichnungen der Funktionstheorie oder der Stufentheorie.
Rechts siehst du einen kleinen Ausschnitt aus dem Weihnachtslied "O du fröhliche", so wie es im evangelischen Orgelbuch steht. Über den Noten haben ich die benutzten Akkorde skizziert, unter den Noten stehen die Funktionsbezeichnungen.

Da in dem Stück eine kleine Modulation in die Tonart der Dominante stattfindet, habe ich unter den Funktionen in der Ausgangstonart D-Dur ab dem zweiten sichtbaren Takt die Bezeichnungen in A-Dur aufgeschrieben, um anzudeuten: etwa ab hier fängt der Hörer an, sich zu fragen "Wo bin ich? Hier passiert doch etwas?", um am Ende der Zeile in A-Dur anzukommen. Gleich darauf wird dann zurück moduliert.

Die Umschaltstelle in Modulationen

Gitarrenstück
Choral

Man kann über die Festlegung der "Umschaltstelle" in Modulationen verschiedener Meinung sein. In den Bildern siehst du zwei Möglichkeiten der Darstellung.
Links ein kurzes Beispiel aus dem Gitarrenstück, das im übernächsten Abschnitt behandelt wird. Hier habe ich in einem Grafikprogramm die Schaltstellen mit diesen geschwungenen Linien markiert.
Das Beispiel rechts ist im Notenschreibprogramm gemacht. Die Tonarten, in denen ich die Stellen ansiedele sind durch die Buchstaben in den Kästchen angezeigt. Die eckige Klammer unter den ersten beiden Funktionen kennzeichnet eine Zwischendominante.

Die durchgestrichenen Funktionsbuchstaben zeigen an, dass der Grundton nicht vorhanden ist. Ziffern neben den Buchstaben bedeuten besondere Akkordtöne, unter den Buchstaben stehen wichtige Basstöne (andere als der Grundton), und über den Buchstaben kann man Töne der Oberstimme notieren, wenn sie ungewöhnlich oder bedeutsam sind.

Um sich der Sache anzunähern ist es vielleicht eine gute Idee, sich bei den folgenden "Aufgaben" zunächst den tonalen Bereich zu skizzieren. Dann ist man besser auf die Wechselfälle des Lebens vorbereitet. Nützlich ist vielleicht auch, den Abschnitt über entfernte Verwandte noch mal zu lesen. Grundsätzlich sollten Vorkenntnisse zu Kadenzen vorhanden sein - die Aufgaben sind eher für Fortgeschrittene...

Analyse von vier Stücken aus Carcassis Opus 60

25 Etüden Opus 60 von Matteo Carcassi gehört zu meinen liebsten Heften für den Unterricht. Sie sind nicht mehr ganz einfach, einige sind sehr hübsch, aber auf alle Fälle sind sie enorm nahrhaft.

Die Nummern 3, 9, 11 und 18 biete ich hier als Analysematerial an. Meine Analyseversuche finden sich unter einer zweiten Notenzeile, in der ich das Stück "zusammengestaucht" aufgeschrieben habe.

In Nummer 3 sehe ich eine Modulation in der vierten Zeile, die sich schon vorher andeutet, in Nummer 9 wird die "tonzentrale Modulation" durch Vorzeichenwechsel angekündigt.
Die kurze Nummer 11 bringt gegen Ende den Neapolitaner, und Nummer 18 hat Modulationen durch Rückung, die aber durch die Sequenzen leicht zu erfassen sind.

Carcassi
Aufgabe:

Die Links öffnen das jeweilige Stück mit einer leeren Notenzeile für deine Analyse darunter, beziehungsweise meine harmonische Interpretation.

Etüde op. 60,3 Analyse op. 60,3

Etüde op. 60,9 Analyse op. 60,9

Etüde op. 60,11 Analyse op. 60,11

Etüde op. 60,18 Analyse op. 60,18

Analyse eines Preludio von Tárrega

Das Preludio Número 2 von Francisco Tárrega ist harmonisch ein ziemlich interessantes Gitarrenstück. Es tastet sich ein bisschen durch die Tonarten und landet von A-Moll ausgegehend in der Mitte für mehrere Takte in Ais-Moll, inklusive einer Doppeldominante ohne Grundton mit Septime und tiefalterierter None - das ist schon lustig...

Aufgabe:

In der einen PDF habe ich die Zeilen auseinandergezogen, damit genug Platz für Bleistift und Radiergummi ist, in der anderen stehen meine Gedanken, wie immer mit dem Hinweis, dass es mehrere Interpretationsmöglichkeiten gibt, und meine hoffentlich eine ist, die man als richtig bezeichnen könnte.

Preludio Número 2 Analyse Preludio 2

Analyse des Preludio Saudade von Barrios Mangoré

Der erste Satz des Stückes La Catedral von Agustín Barrios Mangoré heißt "Preludio Saudade" und wurde 1938 geschrieben, während die Sätze 2 und 3 aus dem Jahr 1921 stammen. Es ist ein wunderschönes Zerlegungsstück, bestens geeignet auch zum Probieren von Gitarren, wenn es um die hohen Töne geht.

Viele sehr hoch liegende Akkorde machen es schwierig und interessant, außerdem ist es von barriolageartigen Effekten geprägt, das heißt es kommen in den Zerlegungen häufig tiefere Töne auf höheren Saiten vor. Passiert auch harmonisch wirklich viel?

Aufgabe:

Die erste PDF enthält leere Notenzeilen für deine Analyse und das Grundgerüst der Akkorde, die zweite bietet meine Meinung zum Vergleich.

Preludio Saudade Analyse zu Preludio Saudade

Kommentar zur Analyse:    Kommentar zur Form:

Analyse des Preludio 13 Fis-Dur BWV 882

Die Gitarre ist ein Saiteninstrument, und ihre leeren Saiten haben einen gewissen Einfluss auf die Spieltechnik und die klanglichen Möglichkeiten des Instrumentes. Wenn man ein Stück in einer Tonart spielt, in der die Töne der leeren Saiten vorkommen, kann man diese nutzen, und das Stück ist entsprechend einfacher. Besonders die Basssaiten E, A und d werden in einfachen Stücken gerne genommen, um die Arbeit der Greifhand einfacher zu halten.

Spieler von Saiteninstrumenten lernen bei ihrer musikalischen "Erziehung" automatisch, bestimmte Tonarten zu bevorzugen. Es gibt einfach nicht so viele Gitarrenstücke in Des-Dur, weil man in diesen fast immer alles greifen muss!
Francesco Molino (1775-1847) hat eine Serie Präludien durch die Tonarten komponiert, die aber nur bis zu vier Kreuze respektive s haben - kurz: als Gitarrist ist man nicht so extrem an viele Akzidentien gewöhnt und gruselt sich leicht.

BWV 882
Aufgabe:

Zum Spaß habe ich mir das Präludium in Fis-Dur aus dem 2. Band des Wohltemperierten Klaviers von J.S. Bach vorgenommen, um es zu analysieren.

Ich habe unter dem Notentext versucht, eine auf das wesentliche reduzierte Fassung zu erstellen, unter der meine harmonische Analyse steht. Links findest du also das Preludium mit leeren Notenzeilen, rechts meine Ausdeutung. Darin sind außerdem für die folgende formale Analyse Themen und Motive farbig umrandet.

Präludium XIII Analyse Präludium XIII

Formale Analyse von BWV 882

Das Präludium Fis-Dur ist sehr frei im französischen Stil komponiert, gehört zu den längeren Vorspielen im Wohltemperierten Klavier, und formal ist es nicht so leicht zu packen. Ein Präludium ist ja grundsätzlich ein Stück mit freieren Konzepten als etwa Tanzsätze. Trotzdem möchte ich versuchen, ein paar Bemerkungen zu notieren, wobei ich nicht sicher bin, ob man "das so machen kann".

Unterteilende Kadenzen

Hemiole

Das Stück ist durch drei "große" Kadenzen unterteilt, denen jeweils eine Hemiole vorausgeht, die ich mit lila Klammern gekennzeichnet habe. Beim ersten Mal wird in Takt 17 nach Cis-Dur, in die Dominanttonart kadenziert, in Takt 45 geht es nach Dis-Moll, der Tonart der Tonikaparallele, und in Takt 68 kadenziert Bach wieder zurück in die Ausgangstonart Fis-Dur. Vor dem Schlussakkord steht ein letztes Mal eine solche Kadenz mit Hemiole.

Man könnte also eine Dreiteiligkeit annehmen: Takt 1 bis 16, Takt 17 bis 67, und Takt 68 bis 75. Für meine harmonische Analyse habe ich sechs Tonartbereiche angenommen, die mit den Abschnitten des Stückes nicht übereinstimmen. Wo ein neuer Teil nach einer Kadenz beginnt, kann die dort gefestigte Tonart ja schon vorher als in einer Modulation angesteuert angenommen werden.

Anfangsthema

Hauptthema

Das Stück beginnt mit einem rot umrandeten Thema, das in Takt 17 abgewandelt im Bass wiederkehrt, in Takt 20 stark verändert in der Oberstimme auftaucht, in Takt 42 direkt vor der Kadenz nach Dis-Moll wird es angedeutet, und in Takt 57 kommt es ein letztes Mal in der Oberstimme, etwas verschleiert durch die freie Verzierung am Anfang.

Einteilung durch das Anfangsthema

Dieses Thema würde eine Einteilung in drei Teile, Takt 1 bis 16, Takt 17 - 56 und Takt 57 bis 75 nahelegen. Im letzten Teil, der in Takt 57 mit der Wiederaufnahme des Anfangsthemas beginnt, hätte man ab Takt 68 eine Coda nach der letzten großen Kadenz.

Begleitung weit
Begleitung

Begleitet wird das Anfangsthema mit unterschiedlichen Akkordzerlegungen im Rhythmus "Achtel punktiert, Sechzehntel", und diese Rhythmik bestimmt insgesamt den Charakter des Stückes, teils in kleinen, teils in sehr großen Sprüngen.

Das im Anfangsthema dunkelrot umrandete Motiv aus punktierter Achtel und drei Zweiundreißigsteln (ohne Triolenklammer!) ist ebenfalls prägend für das Stück. Dieser für die französische Ouvertüre typische Rhythmus taucht immer wieder auf, wo Bach das Laufwerk unterbricht und Schwung holt für neue Melodiebögen.
Außerdem beginnen die Hemiolen in Takt 15 (siehe Bild oben) und 43 beide mit diesem rhythmischen Anfangsmotiv, melodisch wird es allerdings umgekehrt.

Fortspinnung, weitere Motive

Fortspinnung

Nach dem Anfangsthema gibt es eine Fortspinnung in Akkordbrechungen in der rechten Hand, die ich fliederfarben umrandet habe. Sie bestimmt über weite Strecken das Stück, und ich würde ihre Artikulation so wie durch die Kommata (die natürlich nicht original sind!) angedeutet nehmen, vor allem die letzten drei Sechzehntel auftaktig zum nächsten Takt denken.

Dieser Figur gegenüber steht fast durchgängig das türkis umrandete Motiv aus punktierten Achteln mit folgender Sechzehntelnote.

Bassfigur

In Takt 7 und 8 erscheint erstmals eine charakteristische zweitaktige Figur im Bass, die über einen Septakkord einen Zielklang ansteuert. Diese Phrase wird in den Takten 9 bis 12 sequenziert, wobei in Takt 12 in der Oberstimme ein neues Motiv auftaucht, das seinerseits dreimal sequenziert wird, bevor die erste Hemiole vor der Kadenz zu Takt 17 kommt.

quasi Neapolitaner

Dieses neue, orange umrandete Motiv, das eine quasi bremsende Wirkung durch seinen sarabendenartigen Rhythmus hat, klingt beim ersten Mal, besonders in der reduzierten Fassung, ein wenig so, als ob jetzt ein Neapolitaner folgen könnte: nach dem fis als neapolitanischer Sexte über Ais-Moll ein disis, darunter ein His-Dur-Akkord, und zum Schluss Eis-Moll als neue Tonika wäre die entsprechende Kadenz. Bach führt das Stück aber weiter, indem er das Motiv dreimal aufwärts sequenziert, um dann die Hemiole vor dem Schluss in Cis-Dur in Takt 17 zu erreichen.

Das blau umrandete "Bassmotiv" erscheint stark abgewandelt wieder in den Takten 60 bis 65, nach dem letzten Auftauchen des "Hauptthemas" in Takt 57 zu Beginn des letzten Teils. In Takt 65 kommt wieder das nach Neapolitaner klingende Motiv in der Oberstimme. Wenn man den Dis-Moll-Akkord unter der Sexte h subdominantisch auffasst, müsste danach Eis-Dur mit gisis als Leitton in der Oberstimme, und danach ein ais als Zielton folgen. Bach sequenziert das Motiv aber wieder eine Stufe nach oben, und dann ist man schon in der Hemiole vor der Kadenz nach Fis-Dur in Takt 68.

Mittelteil und Schluss

Mittelteil

Im langen Mittelteil, beginnend mit Takt 23 nach dem Hauptthema, lassen sich viele Motive finden, die sequenziert werden, von der oberen in die Unterstimme wandern etc. Hier spielen der oben beim Anfangsthema beschriebene punktierte Begleitrhythmus und in der jeweils anderen Stimme die Akkordbrechungen in Sechzehnteln, die man als Abwandlungen des Motivs aus Takt 4 auffassen könnte die Hauptrolle.

Verzierungen
Zweiunddreißigstel

Motive mit Trillern mit Nachschlag verzieren die Ketten aus punktierten Achteln mit Sechzehnteln, und immer wieder wird das oben dunkelrot umrahmte Motiv aus drei Zweiunddreißigsteln nach einer Punktierung aus dem ersten Thema genutzt, um die Sache mit Schwung voran zu treiben.

Der Mittelteil wird durch die Kadenz nach Dis-Moll in Takt 45 untergliedert, bevor in Takt 57 quasi die Reprise beginnt und eine Art Coda ab Takt 68 den Schluss einläutet.

Harmonische Analyse eines Chorals

Um eine etwas umfangreichere Analyseübung zu bieten, habe ich mir einen Choral vorgenommen, der sich unter den vierstimmigen Chorälen J. S. Bachs sechs Mal findet: "O Haupt voll Blut und Wunden" (einmal unter dem Titel "Herzlich tut mich verlangen"). Da die Sätze in nur 4 Tonarten stehen, habe ich zweimal transponiert. Selbstverständlich ist jede Bearbeitung von Bach anders; wie gilt es herauszufinden - ich hoffe, gerade das ist etwas interessant.
Die Nummern vor den Titeln stammen aus der Ausgabe Edition Breitkopf Nr. 10.

Im Verlauf der Sätze wechselt mehrfach die Tonart; ich habe versucht, dies kenntlich zu machen. Zu Bachs Zeiten war es ja üblich, "das Stück geht aus dem C-Dur" neben "das Stück steht in C-Dur" zu sagen. Als Beispiel sei zum ersten Choralsatz vorausgeschickt: Das Stück beginnt in D-Moll, wechselt dann nach dem Wiederholungszeichen in die Paralleltonart (man kann den Wechsel nach F-Dur aber schon vorher ansetzen), um nach dem Zeilenschluss in Takt 6 wieder nach D-Moll zurück zu modulieren. Dies ist natürlich Interpretationssache. Wie ich darauf komme? In erster Linie, indem ich mir die Zeilenschlüsse (unter den Fermaten) anschaue. Wer meine Meinung nicht teilt, oder sonst Fehler (Besonders Durchgangsnoten im Bass habe ich allerdings nicht immer bezeichnet) findet, kann mir gerne andere Interpretationen mitteilen!

Choral

Choral 1 Analyse 1

Choral 2 Analyse 2

Choral 3 Analyse 3

Choral 4 Analyse 4

Choral 5 Analyse 5

Choral 6 Analyse 6

Durch einen Klick auf die Links öffnen sich PDF - Dateien. Links stehen die Choräle, rechts die Choräle mit Funktionsbezeichnungen... viel Spaß beim Analysieren und Vergleichen!