Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Vorbedingungen als Nachwort

Viele Menschen haben Probleme mit unserem Notensystem, finden es unlogisch und verwirrend. Ich bin der Meinung, dass sie Recht haben. Man kann das Notensystem nicht verstehen wie andere Dinge in unserer Welt, weil in unserer Art, Musik aufzuschreiben, inhaltliche Unterschiede zwischen scheinbar gleichen Dingen als selbstverständlich vorrausgesetzt werden. Noten sind nicht wertfrei! Das muss man wissen und akzeptieren, sonst werden immer Verständnisprobleme bleiben.

Eindeutige Maßeinheiten

Musik hat einerseits mit Physik zu tun, andererseits mit Kultur. Im Reich der Physik setzt man voraus, dass Maßeinheiten genau definiert sind und nicht nur in Europa gelten, sondern im Zweifelsfall auch auf dem Mars anwendbar sind. In kulturellen Hinsicht ist man darauf gefasst, dass Zeichen Bedeutungen haben, die nur die Eingeweihten verstehen, und dass man mit einer in Nordeuropa freundlich gemeinte Hand-Geste in Südamerika einen Menschen sehr erzürnen kann.

Niemand erwartet, dass der Mittwoch plötzlich ein Tag mit 36 Stunden ist, oder dass die Uhrzeiger für die Distanz von 15.00 bis 16.00 Uhr 90 Minuten brauchen, während alle anderen Stunden des Tages 60 Minuten enthalten. Kein Mensch wird denken, dass er 1500 Gramm bekommt, wenn er ein Kilo Gold kauft, nur weil Gold etwas wertvoller ist als Erde(?), und es gilt als gesichert, dass der Abstand zwischen den Zentimetern 6 und 7 auf dem Zollstock genauso groß ist, wie der Abstand zwischen 7 und 8.

Zentimeter

Physikalische Größen und inhaltliche Ungerechtigkeiten

Die Musik hat auch ihre Größenbezeichnungen, die aber nur scheinbar gleichberechtigt sind. Der Abstand zwischen den Tönen c und d ist ein Ton. Von d nach e ist auch ein Ton. Von e nach f auch, aber der Abstand von e nach f ist kleiner als die vorher genannten Abstände.
Das ist nicht logisch! Aber - ist es darum schlecht? Es transportiert nicht nur die nackte Information "Abstandswert: 1 Ton", sondern darüber hinaus (rudimentär) Inhalt, Wertigkeit, Tendenz, Bedeutung!

Zentimeter und Noten

Bild oben: Durtonleiter am Zollstock - ein Ton ist nicht gleich ein Ton! Während c bei 0 und d bei 2 cm liegt, und e dann bei 4 cm, kommt das f schon bei Zentimeter 5! Ebenso liegen h und c bei Zentimter 11 und 12.
Bild unten: die C-Dur-Tonleiter auf der Klaviatur. Man sieht die Halbtonschritte hier nicht durch den Abstand, sondern durch die schwarzen Tasten, die (nicht zwischen e - f und h - c) zwischen den weißen Tasten für die Stammtöne liegen.

Klaviatur mit Noten

Im Bild unten: die C-Dur-Tonleiter auf der h-Saite. Die Noten sehen wegen des normalen Violinschlüssels eine Oktave tiefer aus als sonst auf der Gitarre gewohnt. Die Abstände sind wie beim obigen Zollstock-Bild räumlich zu sehen, die dazwischen liegenden "schwarzen Tasten" sind tatsächlich jeweils eine "Verlängerung" der Saite, während sie bei der Klaviertastatur platzsparend in die Maschinerie integriert sind.

C-Dur Tonleiter auf der h-Saite

Die Stammtonreihe mit natürlichen Halbtonschritten

tonleiter

An vielen Stellen meiner Seite ist erwähnt und als wichtig beschworen, dass die Stammtonreihe zu lernen sei, mit ihren ab Werk fest eingebauten Halbtonschritten. Die Grafiken oben sollen es noch mal für Nicht-Musikeingeweihte verdeutlichen: wenn ich einem Halbtonschritt einen Zentimeter gegenüberstelle (sinnvoll, weil eine Oktave, also der Abstand von c bis c 12 Halbtonschritte umfasst), dann liegt der erste Stammton, das c, beim Nullpunkt des Zollstocks, das d liegt bei Zentimeter 2, e bei 4, aber f bei 5. Zwischen e und f, sowie h und c liegt ein Halbtonschritt, sie sind also direkte "Zentimeternachbarn", während alle anderen Abstände 2 cm umfassen. Die Position der Töne auf dem Gitarrengriffbrett zeigt dasselbe Phänomen. Auf der Klaviertastatur liegt bei den Ganztonschritten eine schwarze Taste zwischen den weißen Tasten für die Stammtöne.
Den Ursprung dieser Merkwürdigkeit habe ich hier zu erklären versucht, die Tatsache, dass es so ist wie es ist wird man nicht wegdiskutieren können. Niemand beschwert sich im Ernst über die Farbabfolge des Regenbogens!

Abgeleitete Noten

Es wird noch komplizierter: Es gibt ja ♯ und ♭, die Zeichen zum Erhöhen und Erniedrigen von Tönen. Bei Zentimeter 1 auf dem Zollstock läge ja der Ton cis / des. Cis und des sind abgeleitete Töne ("alterierte" ist der Fachausdruck), sie haben keinen eigenständigen Namen. (Noch schlimmer: das f kann auch mal eis heißen, und das e auch fes!) Man darf jeden Ton sowohl erhöhen als auch erniedrigen, es gibt keine Verbote. Wenn man ein fisis setzt, ist das höher als ein ges. Das ist für den Novizen schwierig zu verstehen, aber weder verboten, noch unlogisch. Es gibt musikalische Zusammenhänge, wo man ein fisis braucht.

Halb- und Ganztonschritte sind nicht gerecht

Die ganze Wahrheit ist: unser Notensystem ist ungerecht! Man könnte natürlich Abhilfe schaffen, und eine klinisch rein gleich - berechtigte Notenwelt schaffen: jeder der zwölf Halbtonschritte (unseres abendländischen Musikbiotops - bitte nie vergessen, dass es andere Kulturen gibt!) könnte einen eigenständigen Namen erhalten, jeder eine eigene Position im Notensystem, und alles wäre wunderbar. Hätte das Vorteile? (Ganz abgesehen von der Tatsache, dass unser Liniensystem ohne Hilfslinien nur einen Umfang von 11 Halbtönen hätte, statt der jetzt möglichen 20 Halbtöne, die enharmonischen Umdeutungen nicht eingerechnet!)

Ich hatte als Student einen lieben Nachbarn, Verfasser von Büchern über Jazzmusiker, der solch ein System immer wieder in Diskussionen mit mir heftig verteidigt hat. Endlich wäre der Abstand von einem Ton zum nächsten eine feste Größe, wie die Zentimeter auf dem Zollstock. Aber wäre ein solches Notensystem ein Abbild der kulturellen Realität? Man würde ja noch hören, wenn in "Au clair de la lune" plötzlich die kleine Modulation stattfindet, aber dass tonartfremde Noten erklingen würde man nicht mehr so deutlich sehen! Ein fis in C-Dur wäre ja äußerlich nicht von den umgebenden Tönen zu unterscheiden! (Für wirklich Eingeweihte natürlich schon, die würden sich halt ihr Teil denken, auch wenn sie nichts sehen. Als Mensch, der Laute studiert hat, kann ich eine Tabulatur für Barocklaute genauso vom Blatt singen wie italienische oder gar deutsche Tabulatur für Renaissancelaute, weil ich um die Bedeutung der Buchstaben auf den Linien und die Stimmung der die Saiten symbolisierenden Linien weiß.)

Alterierte Töne fallen auf

Jeder, der etwas von Musik versteht, sieht dass etwas Besonderes passiert, wenn in einem Lied in G-Dur plötzlich ein es auftaucht. Wenn man den Refrain von "The voice within" von Christina Aguilera hört, merkt man sofort, dass die Harmonien nicht ganz gewöhnlich sind (die gute alte Mollsubdominante). Wäre das denn so toll, wenn das Notenbild an dieser Stelle genauso simpel aussähe wie ein Kinderlied? Ist es nicht ganz nett, dass man sieht, wenn etwas Interessantes passiert?

Exkurs: alternative Notation

Hörexperimente

Ganzton ist nicht gleich Ganzton und schon gar nicht Halbton!

Machen wir ein paar Hör - Sing - Experimente, die beweisen sollten, dass Töne nicht gleichberechtigt sind, und dass das gut so ist! Wenn Sie die folgenden Tests durchgehen wollen, müssen Sie sehr viel klicken, aber in dem Wort "interaktiv" steckt ja "aktiv" drin, in dem Sinne bitte ich um Verständnis...

Bei den folgenden Tests müssen Sie immer wieder die Kadenz anhören, um in der Tonart "drin" zu sein, denn die Kadenz
Kadenz
ist die gründlichste Art und Weise kurz klarzustellen, wo man sich befindet.

Test 1: Hören Sie sich also zunächst eine Kadenz in C-Dur in Oktavlage, Terzlage, Quintlage und Oktavlage an!

Kadenz in C-Dur

Danach bitte die Tonfolge c - d.

Versuchen Sie jetzt, beginnend mit den zwei zuletzt gehörten Tönen "Meister Jakob" oder "Alle meine Entchen" zu singen!
Ich nehme an, dass das klappt, und schon folgt

Test 2: Bitte wieder die Kadenz anhören, danach die Tonfolge g - a.

Singen Sie jetzt bitte "O du fröhliche" oder "Alle Jahre wieder". Auch das sollte reibungslos funktionieren und weihnachtliche Stimmung erzeugen.

Test 3: Jetzt hören Sie sich wieder die Kadenz und danach die Tonfolge c - d an,

und singen beginnend mit diesen Tönen "O du fröhliche" oder "Alle Jahre wieder". Damit das funktioniert, müssen Sie die Tonart wechseln (oder schief singen) - das merken Sie, wenn Sie nach vollbrachter Tat die Kadenz noch einmal anhören... das müsste fremd klingen! Die Gegenprobe wäre

Test 4: Kadenz hören, danach die Tonfolge g - a,

dann mit diesen Tönen beginnend "Meister Jakob" oder "Alle meine Entchen" singen. Auch das müsste sich seltsam anfühlen, und durch das nachträgliche Hören der Kadenz als komisch bestätigt werden. Wenn Sie "Bruder Jakob" mit dem Ton g beginnen, singen Sie das Lied in G-Dur. Das ist einfach nicht C-Dur und klingt deshalb nach und vor dem Hören der C-Dur Kadenz ortsfremd, während der Anfangston c in C-Dur schlicht der richtige ist. C - d und g - a sind jeweils Ganztonschritte, transportieren aber unterschiedliche kulturelle Bedeutung, selbst bei so einem simplen Volkslied!

le carillon

Ein interessantes Beispiel ist das französische Kinderlied, "Le carillion de vendôme": es beginnt mit den Stufen 2 und 3 der Tonleiter, d.h. nach Hören der Kadenz kann man es singen, wenn man mit der Tonfolge d - e beginnt, und müsste Schwierigkeiten mit den Tonfolgen c - d oder g - a haben, oder zumindest spüren, dass etwas nicht stimmt.

Wenn Sie mögen, und von dem vielen zurück - Geklicke nicht genervt sind, versuche ich noch ein paar hübsche Beispiele zu geben:

Weitere Versuche

Test 5: Singen wir einen Ganztonschritt abwärts: Bitte die Kadenz hören,

Kadenz

und danach die Tonfolge e - d.

Danach singen Sie bitte "Merrily we roll along", "Jetzt gang i ans Petersbrünnele" (!), den Anfang von "Sommerzeit" (Voll die Koffer und voll der Tank...) oder "Obladi oblada" (Den Anfang: Desmond has his barrow in the marketplace...). Ich bitte um Entschuldigung für die entlegenen Beispiele! Gegenversuch:

Test 6: Einmal die Kadenz, und dann die Tonfolge d - c.

Klappen jetzt die letztgenannten Lieder? Das sollte mich wundern! (Sie müssten in die Tonart der doppelten Subdominante wechseln, nach B-Dur, und das ist schon ein starkes Stück!) Aber wie steht es mit "Yesterday"? Das fängt tatsächlich mit den Stufen 2 - 1 einer Tonleiter an, das sollten Sie nach dieser Vorbereitung singen können! Wie ist es mit dem Ganztonschritt abwärts zwischen den Stufen 5 und 4 in Test 7?

Test 7: Bitte die Kadenz hören, und danach die Tonfolge g - f.

"Summ, summ, summ" sollte leicht von den Lippen kommen, aber ohne Tonartwechsel sind "Yesterday" (wechseln nach F-Dur) oder die Beispiele aus Testreihe 5 (bitte eben nach Es-Dur wechseln, 3 ♭ als Vorzeichen! Das geht gar nicht!) nicht möglich und führen deshalb zu Unbehagen.

Test 8: Ein Halbtonschritt aufwärts ist auch ein interessantes Experiment: Hören Sie die alte Kadenz, und danach die Tonfolge e - f.

Was kann man da singen? "Kommt ein Vogel geflogen", "Die Tiroler sind lustig", oder die Zeile "Schläfst du noch?" aus "Meister Jakob" passt. Wenn Sie aber wie in

Test 9: nach der Kadenz die Tonfolge h - c (wie e - f ein Halbtonschritt) hören,

sollten Sie bei "Kommt ein Vogel" den Tonartwechsel spüren, und "Schläfst du noch?" sollte sich leicht nach Albtraum anhören... aber vielleicht klappt jetzt "Wouldn't it be good" von Nik Kershaw? Bei genauem Hinhören doch nicht, denn der Refrain beginnt eigentlich mit der Terz! Aber das Intro von "Meine Deutschlehrerin" von den Wise Guys beginnt mit der Septime der Tonart! Uff, Beispiel gefunden!

Ich hoffe, es ist mir gelungen, erfahrbar zu machen, dass Ganztonschritt nicht gleich Halbtonschritt ist, und auch zwischen Ganztonschritten wegen der Position in der Tonleiter Unterschiede bestehen. Die vorigen Abschnitte und Tests haben indirekt viel mit dem Kapitel über transponieren zu tun.

Dass unser Notensystem nicht funktioniert wie ein Zollstock, sondern immer Bedeutung und Inhalt mit transportiert ist kein Denkfehler, sondern eine Frage der "Denktiefe". Wenn ich den Erlkönig von Goethe lese, mache ich mir ja auch Gedanken über die Bedeutung der benutzten Symbole und bin dem Dichter nicht böse, weil er vom "Erlenkönig mit Kron' und Schweif..." spricht.

Daraus folgt unlogischerweise, dass man unser Notensystem toll findet, und bereit ist, die vertrackten Themen Intervalle, Tonleiteraufbau, Dreiklangskonstruktion und Harmonielehre durchzuarbeiten, nachdem man oben auf dieser Seite beginnend die Grundlagen verdaut hat...

Verbesserte Notennamen oder: das "h" durch "b" ersetzen?

Namen sind eine Übereinkunft

Bezeichnungen für Dinge sind eine Übereinkunft. Dass ein Stuhl auf Deutsch "Stuhl" heißt und auf Englisch "Chair" hat natürlich etymologische Hintergründe, aber irgendwann beschloss man in ferner Vergangenheit dieses Ding "Stuhl", das andere "Tisch" zu nennen und nicht mehr zu verwechseln.
Ein "M" hat die Beine nach unten, ein "W" nach oben, weil man sich in grauer Vorzeit darauf geeinigt hat.

Tonnamen in verschiedenen Sprachen

Man muss wirklich tief in die Musikgeschichte einsteigen, wenn man verstehen will, woher die Namen für die Töne kommen, wie das Problem mit dem b zu erklären ist, warum "Dur" und "Moll" heißen wie sie heißen und so weiter, aber man könnte ja mal überlegen, ob man im Jahr 2023 nicht den Ballast des Mittelalters über Bord werfen könnte.

Deutsche Tonnamen

Unsere Tonnamen sind "c-d-e-f-g-a-h-c"; weniger bekannt ist vielleicht, dass sie auch auf dänisch, norwegisch, schwedisch, polnisch, slowakisch, tschechisch, serbisch, kroatisch und ungarisch verwendet werden. Das sind gar nicht so wenige Länder, wenn auch in China insgesamt wohl mehr Menschen leben.

Vor- und Nachteile

Enorm praktisch ist, dass Erhöhung und Erniedrigung durch angehängte Buchstaben gekennzeichnet werden: aus "c" wird "cis" oder "ces". Das kann man genauso schnell sagen oder singen wie die Stammtöne, nur "eis" und "ais" sind quasi zweisilbig, aber doch deutlich schneller auszusprechen als "re bemolle", "re bémol" oder "d flat".

Der große Nachteil ist dieses unlogische "h", das im ABC bekanntlich nicht nach "a" kommt. Es hat historische Gründe, dass die Erniedrigung des "h" nicht "hes", sondern "b" heißt und es liegt wohl wieder an der typisch deutschen Gründlichkeit, dass diese Dinge sprachlich überliefert werden (in "bemolle" steckt das ja auch)! Aber dass die doppelte Erniedrigung dann "heses" heißt - ach jee!

Englische Tonnamen

Auch die englischsprachige Welt (die groß ist, aber nicht allumfassend) benutzt Buchstaben: "C-D-E-F-G-A-B-C". Jeder erhöhte Ton bekommt das Wort "sharp" nachgestellt, die erniedrigten Töne heißen "flat" (Zum Beispiel "Bb" geschrieben).
Auf Englisch werden also wirklich die Buchstaben des Alphabets in der normalen Reihenfolge verwendet.

Vor- und Nachteile

Der Vorteil ist die Sauberkeit des Systems, der Nachteil sind viele Silben, die man sagen muss.

Englische Namen übernehmen?

Könnte man, sagen wir ab 2025, im deutschen Sprachraum (es gibt ja auch Österreich und die Schweiz, mal abgesehen von den anderen oben genannten Ländern) das "h" durch "b" ersetzen, dessen Erhöhung "bis" (au weia) und die Erniedrigung "bes" (schon besser) nennen? Das wäre mal eine Rechtschreibreform! Alle Sonaten, Fugen, Messen und Konzerte in diesen Tonarten bekämen neue Namen, Trompeten in "B" hießen Trompeten in "Bes".

Offen gesagt: ich bin nicht dafür. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, zu Bachs H-Moll-Messe "B-Moll-Messe" zu sagen, zu Beethovens Opus 133 "Große Fuge Bes-Dur" oder zu Brahms' Trio Opus 8 "Bis-Dur-Trio".
Man muss die Idee ja wirklich zu Ende denken: der Einsteiger meint vielleicht, eben eine Tonleiter mit b statt h aufzusagen sei doch kein Ding, aber die gesamte Kommunikation über alle Tonleitern, viele Akkorde und Intervalle wären davon betroffen! Jahrzehntelang habe viele Menschen bei g-b-d gedacht "das ist ein G-Moll-Dreiklang", und bei g-h-d "das ist G-Dur", und plötzlich soll g-b-d G-Dur sein?

Akkorde in populärer Musik

Wie ist es im Jazz? Da stehen die Akkordbezeichnungen ja praktisch immer auf Englisch da, aber sagt man, wenn man in einer rein deutschsprachigen Band spielt "Du, hast du in Takt 45 F sharp seven flat ninth" oder doch "hast du da fis sieben tief neun"? Das ist vielleicht eine Stilfrage, und ob man sich komisch vorkommt, in jedem zweiten Satz für drei bis fünf Worte ins Englische zu wechseln...

Romanische Sprachen

Die Tonnamen in romanischen Sprachen (auch bulgarisch, griechisch, russisch) heißen "do, re, mi, fa, sol, la, si, do", ursprünglich "ut, re, mi, fa, sol, la, si", und diese Übereinkunft basiert auf den Anfangssilben eines geistlichen Hymnus: "Ut queant laxis / resonare fibris / mira gestorum / famuli tuorum / solve polluti / labii reatum / Sancte Iohannes." "Ut" wurde später durch "Do" ersetzt.

Vor- und Nachteile

Generell haben diese Silben den Vorteil, dass sich mit ihnen besser singen üben läßt als mit Buchstabenbezeichnungen. Aber sie haben einen richtig großen Nachteil: Bei Erhöhungen kommt auf französisch beziehungsweise italienisch das Wort "dièse / diesis" dahinter, bei Erniedrigungen "bémol / bemolle". Das läßt sich nicht so schnell sagen oder singen, weshalb man in französischen Videos, bei denen die Noten mitgesprochen werden darüber staunt, dass ein Es-Dur-Akkord "mi-sol-si" benannt wird, obwohl er eigentlich "mi bémol-sol-si bémol" heißt. Je nach Tempo der Musik kommt man da einfach nicht mit! (Auf spanisch / portugiesisch heißt erhöht "sostenido / sustenido"! Ich habe aber noch keine Videos in diesen Sprachen angeschaut.)
Außerdem haben diese Tonnamen eigentlich keine Beziehung zu irgendeiner Ordnung - die Buchstaben der deutschen oder englischen Töne sind ja immerhin aus dem Alphabet bekannt.

Fazit

Als Gitarrenlehrer würde ich mal sagen: man lebt in dem Land, in dem man lebt, und die Idee, Zweitklässlern fremdsprachige Tonnamen anzubieten wäre für mich merkwürdig.

Als nächstes könnte man auf die Idee kommen, die Begriffe "Dur" und "Moll" zu ersetzen, aber durch was? "C-Groß" und "C-Klein"? "C-Major" und "C-Minor"? Englisch ausgesprochen, oder wie man als Deutscher Latein ausspricht?
Und am schlimmsten ist eigentlich die Existenz der Prime. Manche Dinge könnte man vielleicht verbessern, aber manche kann man auch einfach so lassen, und wissen, was die Bedeutung hinter der Übereinkunft ist.

Bücher umzuschreiben, in denen Bezeichnungen vorkommen, die auf dem lateinischen Wort für "schwarz" basieren ist eine Idee; die gesammte Literatur über Musik, die unsere Bezeichnungen enthalten umzuarbeiten, so als sei diese Sprachgruppe eine aussterbende Regionalsprache wäre ein ganz anderes Unterfangen.

Notenlernen ist schwierig!

Aber keineswegs! Warum tun sich so viele Leute so schwer damit, warum wird in jedem neuen Schuljahr wieder durchgekaut, wie eine Durtonleiter aufgebaut ist, was einen Dur- von einem Molldreiklang unterscheidet und wie man eine kleine Septime findet?

Wenn man als Austauschschüler für ein Jahr ins Ausland geht, fängt man etwa nach einem viertel Jahr an, in der bisher fremden Sprache zu träumen. Dann ist es passiert: die Sprache des Gastlandes kommt leichter von den Lippen, auch wenn dann und wann noch Vokabeln fehlen.

Auch das Reich der Musik ist ein fremdes Land mit einer Sprache, die über Syntax, Grammatik und Logik verfügt, nur leider gehen (die meisten) Besucher nur einmal die Woche kurz 'rüber, machen sich keine Notizen, lernen gelegentlich etwas intensiver für die anstehende Klausur, und das war's dann. Bis so jemand "im Traum" über die zu lernende Sprache verfügt, können Jahrzehnte ins Land gehen. Dabei wäre es mit ein bisschen Fleiss, Hartnäckigkeit und Neugier gar nicht mal so schwer...
Dinge wie Fahrrad fahren oder schwimmen lernt man ja meist in relativ kurzer Zeit und kann sie dann für den Rest seines Lebens (und nutzt sie für den Rest seines Lebens!), aber Noten lernen - kann ich das nicht noch ein paar Dekaden aufschieben...