Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Unterrichtsmaterial

Wenn man Gitarre spielen lernt und dabei Noten benutzt, geht man meist den Weg über eine Gitarrenschule und unterschiedliche Unterrichtsliteratur hin zur "richtigen" Literatur. Zu den pädagogischen Heften habe ich als Lehrer immer eine spezielle Beziehung; manche Sachen finde ich vorwiegend gut, zu anderen gibt es eine Hassliebe. Fast in jedem Büchlein gibt es Stücke, die "nicht gut funktionieren". Deutlich schwieriger als die anderen, von merkwürdigem Humor - vielleicht kann der Mensch, der das Buch verfasst hat damit guten Unterricht machen...

Alle Gitarrenschüler möchten gerne aktuelle Hits spielen! Das ist ein Problem! Komponisten von Hits haben beim Schreiben nicht die riesige Gemeinde von Instrumentalschülern im Kopf, sondern die noch größere von potentiellen Musikhörern und Käufern! Also nehmen sie auf bestimmte Dinge keine Rücksicht:

  • einfache Lieder kommen mit wenigen Begleitharmonien aus, was bedeutet, dass man sie in bestimmten Tonarten (D-Dur, A-Dur) klangvoll zweistimmig mit leeren Bässen setzen kann. Leere Basssaiten haben wir drei - sobald mehr Harmonien drin sind, braucht man gegriffene Bässe, und damit ist das Stück für Anfänger tabu!
  • viele Hits sind umfangreich, haben diverse Wiederholungen, Strophe, Refrain, Bridge - die vier bis fünf Minuten langen Stücke von Robbie Williams sind auch nichts für Anfänger.
  • Gesangsstücke haben nicht nur bei Bach rezitativische Elemente: In Rap, Hip-Hop und Verwandtem wird ja der Sprechgesang gepflegt, und so etwas möchte man ja nicht wirklich auf einem Instrument üben. Aber auch viele "normale" Songs sind melodisch oft erstaunlich eintönig und eher rhythmisch geprägt. Wenn man den Rhythmus konsequent vereinfacht, kommt oft eine Melodie auf Kinderlied-Niveau heraus. Das springt einen manchmal an, wenn man bei einer Casting-Show einen nicht so gesangsstarken Kandidaten hört: "Mensch, die Strophe besteht ja fast nur aus drei Tönen! Ist mir bei Rihanna nie aufgefallen...". Solche Stücke will im Ernst niemand auf einem Instrument üben - das ist mühsam und langweilig!
  • Schließlich: Hits von noch lebenden Künstlern / Autoren sind deshalb nicht in Gitarrenschulen und Anfängerheften zu finden, weil die Urheber Rechte haben, und man für große Einfälle Geld bekommt. Wenn McCartney im Radio läuft, erhält er dafür Dollars - Beethoven nicht mal mehr Taler! Bach hebt das Niveau der Gitarrenschule, aber nicht den Preis.

Also sind die Hefte, mit denen sich der strebsame Gitarrist auf den Weg macht, voll mit Volksliedern, Folksongs, Spirituals, "Freude, schöner Götterfunken" und Stücken, die der Verfasser "im Stile von" geschrieben hat. Und dabei sind richtig tolle Sachen, die den Eleven wirklich vom Fleck bringen! Es gibt viel gute Unterrichtsliteratur, die dazu führt, dass der Mensch, der sie durcharbeitet unversehens Gitarre spielen lernt.

Es geht also weiter mit Heften, die nach der Gitarrenschule sinnvoll zu nutzen sind, und dann habe ich eine Reihe Leib- und Magenhefte, die ich für besonders nahrhaft halte und deshalb gerne benutze. Daneben gibt es für mich aber noch Bücher, die mir besonders am Herzen liegen, weil sie die Musik früherer Epochen enthalten.

Einfache weiterführende Hefte

Nach dem gewissenhaften Durcharbeiten der Gitarrenschule, dem Beherrschen der Töne in den unteren Lagen des Griffbrettes inklusive fis und ges gibt es viele Hefte auf dem Markt, die einen weiterführen. Dabei gibt es einfachere und anspruchsvollere Sachen.

Joep Wanders

Joep Wanders ist ein holländischer Autor vieler weiterführender Hefte, die Schüler recht behutsam begleiten. Er nutzt Folkstücke, spanisch Anmutendes und auch Rock und Blues, schreibt sehr eingängig und formal sehr übersichtlich: Wiederholungen, auch ausgeschriebene, machen die Stücke einfacher und schulen das Formgefühl. Natürlich bleibt auch er aktuelle Hits schuldig: der neueste Ed Sheeran ist erstens nach dem Heft erschienen, und zweitens darf man den ja nicht einfach so verwursten.

Grundsätzlich gibt es innerhalb der Hefte immer eine relativ flach ansteigende "Schwierigkeitskurve", es wird viel in Tonarten gearbeitet, die leere Basssaiten nutzbar machen, gegriffene Bässe werden behutsam eingestreut. Aber es gibt auch mehrstimmige Stellen, es wird mal (auf den oberen Saiten) in die Lage gerutscht, und Flageoletttöne kommen vor. Nutzt man nach einem Heft das nächste und dann wieder das nächste, bekommen die Schüler selten einen größeren Schock: es geht eher friedlich voran.

In den Heften Go for Guitar 1 & 2 und La Guitarra Española kommen häufig ähnliche Verbindungen mit gegriffenen Bässen, sodass Standard-Fingersätze gut eingeübt werden - das hilft auf dem Weg.

Thierry Tisserand

Von Thierry Tisserand kenne ich vor allem die Serie "Comme des chansons", deren Stücke schon im ersten Heft viel beunruhigender sind: auch hier findet das meiste in den unteren Lagen statt, das Idiom ist Folk, Blues, Jazz und Verwandtes, aber Tisserand streut immer wieder "gitarrentypische" Dinge ein, Akkorde, die in höhere Lagen verschoben werden, höhere Töne auf tieferen Saiten, Dinge halt, bei denen man erst mal stutzt und sagt "Wie soll das denn gehen?!", weil so etwas noch nie vorkam und man also etwas radikal Neues lernen muss.
Außerdem begegnet einem zum Beispiel mal die Vorzeichnung von G-Moll, aber das Stück ist so geschickt geschrieben, dass man konstatieren muss: wenn man es begriffen hat, ist es sehr gut spielbar, und die eher unvertraute Tonart geht doch gut! Bei Tisserand kommt also Ungewohntes, und man darf denken.

Maria Linnemann

Auch die pädagogische Literatur von Maria Linnemann ist unbequemer. Das Heft "Leichte Folklorestücke" sieht zunächst brav aus, kommt aber bald mit unterschiedlichen Techniken, Picking, Abzügen und Aufschlägen, eingestreuten Akkorden, und der Folgeband ist definitiv schwieriger. Auch bei ihr werden Griffe in die Lage verschoben, es gibt chromatische Bewegungen, die fürs Auge neu sind, deren Struktur man begreifen muss, aber dann sind es anspruchsvollere, aber flockige Stücke.
"Sagen und Landschaften" ist ein Band mit fantasievollen Folkstücken. Da die beschriebenen Wesen teilweise boshaft sind, klingen die Stücke auch so, es gibt Takwechsel und überhaupt mal einen 7/8-Takt.
Linnemanns "Suite for Lovers" wechselt zwischen romantischen und fast rockigen Klängen, Akkorde, Mehrstimmigkeit, Überbindungen sind Standard und machen das Heft eher schwierig.

Mittelschwere Sammlungen

Die Hefte von Cees Hartog, zum Beispiel "Titbits for young Guitarists", sind schon länger auf dem Markt und setzen direkt auf einem anderen Schwierigkeitsgrad an. Gegriffene Bässe sind die Regel, mehrstimmige Akkorde auch; die Stücke sind zwar kurz, aber nicht immer einfach.
"¡toca Guitarra!" von 1981 wie auch "Tapas de España" von 1995 sind zwei schöne Hefte mit spanischen Stücken in mittlerem Schwierigkeitsgrad; hier wäre auch "Canciones populares" von Hansjoachim Kaps zu nennen. Diese Stücke im spanischen Stil sind immer gut, um Akkordkenntnisse und Zerlegungstechniken zu verbessern.

Ebenfalls seit 1985 gibt es "Zeit für Träume" von Klaus Schindler, ein Heft, das gleich im ersten Stück mit gegriffenen Bässen loslegt und von Seite zu Seite schwieriger wird.

H. J. Teschners "Spielbuch für Gitarre" beginnt sehr einfach und schließt quasi an seine Gitarrenschule "Fridolin"an, steigert sich dann aber doch im Anspruch und enthält neben folkigem Material auch Stücke aus Renaissance, Barock und Klassik. Es eröffnet also Horizonte, die Schüler müssen aber größere Sprünge verdauen als etwa bei Wanders.

"Supermix 2 Take it Easy" von Ferdinand Neges ist in Abschnitte unterteilt, die jeweils eigene technische Themen behandeln. Auch hier gibt es Stücke vom Autor und aus anderen Epochen; man nutzt das Heft besser mit älteren Schülern, die schon mehrere Probleme auf einmal vertragen können.

Eigentlich einfache Stücke, die dennoch über dem Niveau der leichten Hefte von Wanders liegen, enthalten zum Beispiel "Gut drauf" von J. M. Borner, "Things for Strings" von Horst Großnick oder Rainer Falks "Traumlandschaften". Phantasievolle kurze Stücke, die vorraussetzen, dass man sich vor gegriffenen Bässen, mehrstimmigen Akkorden und Zerlegungen nicht mehr gruselt.

Bei vielen der Stücke in solchen Heften denke ich als Lehrer, dass für den Autor eher die Idee zu einem interessanten Stück im Vordergrund stand als Gedanken wie "Was kann ich Lernenden auf diesem Niveau ungefähr zumuten? Kann ich das so schreiben, oder pfeffern sie das Heft dann in die Ecke?"
In diesem Sinne schreibt Joep Wanders immer ziemlich konsequent in einem Schwierigkeitsgrad und mutet dem Leser in einem Band selten zuviel zu.

Ansatz "Neue Musik"

Bei Heften für Anfänger findet man eher selten wirklich experimentelle Stücke, die dem Begriff "Neue Musik" wirklich zuzuordnen wären. Dennoch gibt es Publikationen, die sich in diesem Sinne deutlich von den bisher besprochenen abheben:

"24 Estampas" von Jaime Zenamon sind nicht alle einfach, enthalten ansatzweise grafische Notation, bieten damit also Gelegenheit, Dinge auszuprobieren, die normalerweise nicht verlangt werden.
Konventionell notiert, aber doch voll schräger Klänge sind die "24 Präludien" von Carlo Domeniconi.
Die vier Serien "Études Simples" von Léo Brouwer behandeln tatsächlich spieltechnische Themen und sind eher etwas für Schüler, die stark interessiert sind.

Ansatz Popmusik

Ach, könnte man, dürfte man...!
Na ja, man kann schon Stücke aus dem Bereich populäre Musik bearbeiten, die Hefte sind aber immer etwas teurer, weil die Komponisten der Stücke noch leben und man Bearbeitungen nicht ohne Tantiemen machen darf. Dann ist es schwierig, brandaktuell zu sein, weshalb eigentlich alle Hefte mit Popmusik immer Stücke von 1950 bis kurz vor jetzt enthalten, und die Stücke sind immer sehr vereinfacht, denn eine Rockband mal eben für eine kleine Gitarre setzen, und dann noch so, dass es klingt... kein einfacher Job! Und da jeder Hit länger ist, als eine Seite in einem Gitarrenheft, sind diese Bearbeitungen eigentlich immer erst mit fortgeschritteneren Schülern zu machen.

"PopSongs for Classical Guitar" heißt eine Serie von Cees Hartog. Band 3 enthält zum Beispiel Stücke von 1964 bis 1993. Und eins ist mal klar, wer "Every breath you take" von Sting vielleicht cool findet, kennt "Love is blue" oder "And I love you so" möglicherweise nicht mal.
Von Rainer Vollmanns stammt die Serie "Song time", in der neben Versionen für Gitarre solo auch Melodie mit ausgeschriebener Begleitung für Gitarre, so wie Akkorde und Anschlagsmuster gegeben werden. In Band 2 geht es mit einem Spiritual los und dann bis zu "Wind of change". Fünfziger Jahre, Beatles, Stones in Band 4, die Schwierigkeit steigt mit den angewandten Akkorden.

Michael Langers Serie "Acoustic Popguitar Solos" ist aufwändiger gestaltet, verfolgt aber das gleiche Prinzip: mit "Mighty Quinn" sind die Sechziger vertreten, es gibt zwei Beatles-Songs, zweimal Sting, und so weiter. Zu jedem Stück gibt es Text und Akkorde, eine Bearbeitung für Gitarre und separat eine Tabulatur - viele Seiten pro Song.

Man kann sich also auch mit Popmusik weiterbilden, aber die Stückauswahl scheint mir manchmal fragwürdig, überschneidet sich in vielen Publikationen, und der Nutzen fürs Weiterkommen funktioniert nach dem Prinzip "Viel hilft (hoffentlich) viel".

Schwierigere Hefte

So arbeitet man sich mit den Schülern also durch Hefte für Anfänger und kann dabei dosieren: je nach Motivation der Gruppe oder des Einzelnen wählt man sobald es geht Hefte, die fordernder sind.

Ob man die Lernenden überfordert merkt man dann erst beim Durcharbeiten; das ist mir schon mit "Fridolin 2" oder "Comme des Chansons 1" passiert, und das heißt nicht unbedingt, dass man den Schüler oder die Gruppe völlig falsch eingeschätzt hat: auch ein Schulwechsel oder Veränderungen im häuslichen Umfeld können dazu führen, dass ein zwei Bünde höher verschobener C7 - Griff wochenlang nicht begriffen wird.

In der Serie "Folk-Jazz Ballads" von Fabian Payr geht es nicht so sehr in die Lage, aber die schönen Stücke sind wegen der angewandten Techniken, der Rhythmik und der geforderten Tempi anspruchsvoll. Ähnlich ist es in "Guitarra Fiësta" von Joep Wanders - diese Stücke sind nicht ohne!

"Gigbag" von Ulrich Uhland Warnecke enthält (vor allem rhythmisch) anspruchsvolle Stücke; bei einem ist neben den Noten auch Tabulatur angegeben, damit man alle links- und rechtshändigen Aufschläge und Abzüge voreinander hat.

In "Caledonian Summer" von Horst Großnick oder "Por los campos" von Friedrich Herweg stößt man plötzlich auf Stücke, die ziemlich rücksichtslos die hohen Lagen und Barrégriffe nutzen. Bis dahin muss der Schüler das Griffbrett so weit beherrschen, dass er sich Dinge zusammenreimen kann, die er vielleicht seit dem letzten Unterricht vergessen hat, und besser wäre es, wenn die schwierigen Dinge gut erklärt wurden und der Lernende fleißig genug ist.

Die Autoren der weiterführenden Hefte, die ich hier genannt habe, nutzen Stile wie Folk, Jazz, Blues, Picking, Fingerstyle etc. Sieht man irgendwann etwas von Tárrega, Villa-Lobos, Barrios-Mangore oder Lauro und denkt sich "Das würde ich gerne mal können!" hat man aber doch noch einiges dazu zu lernen. Deshalb auch hier noch mal die Bemerkung, dass Sammlungen mit Gitarrenmusik aus der Klassik, besonders zum Beispiel Etüden wie "Matteo Carcassi, 25 Etüden Opus 60" hier sehr hilfreich sind. Man muss sich durch einige Stücke durchbeißen, die Akkorde auf dem gesamten Griffbrett nutzen und lernt dabei dieses hoffentlich gründlich kennen.
Hier steht etwas über Hefte, die ich in diesem Sinne besonders gerne einsetze.

Pädagogische Literatur und "richtige" Literatur

Pädagogische Literatur nenne ich generell Hefte und Bücher, die Stücke enthalten, die dem Lernenden auf dem Weg zur "richtigen Literatur" nutzen. Wo aber beginnt die "richtige" Literatur?

Das ist eine schwierige Frage. Wenn man ein Konzert besucht, erwartet man von einem Pianisten nicht, dass er Stücke von Einaudi oder Yiruma spielt, es sei denn, er ist selber diese Person. Tatsächlich habe ich schon mal in einem Gitarrenkonzert ein Stück aus dem Heft "Meister des Barock" von Heinz Teuchert gehört, allerdings könnte man argumentieren, dass Stücke von Logy oder de Visée ja nicht als pädagogische Literatur konzipiert waren, sondern der Unterhaltung von Königen und Fürsten dienten.

Beginnt ernst zu nehmende Literatur also mit einem bestimmten Schwierigkeitsgrad, und wie legt man den fest?
In den "8 dreamscapes" von Andrew York kann man Stücke wie "hejira" oder "watercolor" durchaus spielen, während man sich bei "quicksilver" die Finger bricht...

Sicherlich sind die vielen "Etüden" der Klaviervirtuosen der Romantik keine pädagogische Literatur, während die zwei- und dreistimmigen Inventionen von J.S. Bach zum Lernen verfasst wurden.

Letztendlich kann einem diese Diskussion aber auch egal sein: viele Stücke, die man im Konzert eines anerkannten Virtuosen nicht hören würde, klingen toll, machen riesigen Spaß beim Lernen und wenn man sie beherrscht. Man übt, man spielt die Stücke seines Repertoires und freut sich daran, dass man etwas mit seinen eigenen Händen macht.

Wichtig ist, dass auf den Wegen, auf denen man sich zu immer fortgeschritteneren Stücken voran arbeitet, nicht zu viele Teilstücke oder Brücken fehlen, damit man mit fundierten Kenntnissen ankommt. Und dann findet man auch von selbst immer neue Ziele, und hat neben Instagram und Co noch andere interessante Dinge im Leben.

Lieblingshefte

Die Konzertgitarre hat eine lange Tradition mit der Musik aus Renaissance, Barock, Klassik und Romantik für Gitarren- und Lauteninstrumente. Einige Hefte mit Stücksammlungen aus diesen Bereichen möchte ich hier aufzählen, weil sie für mich eine Möglichkeit darstellen, sich in die Tradition unserer Spieltechniken, Stückstrukturen und instrumentenspezifisch kompositorischen Finessen einzufühlen. Abgesehen davon gibt es so viel schöne Musik zu entdecken!

Ich setze diese Hefte sehr gerne im Unterricht ein, obwohl "schlecht funktionierende" Stücke auch hier vorkommen. Wenn Schüler sich darauf einlassen, haben sie hinterher womöglich mehr Ahnung, mehr Hintergrundwissen, mehr Stilgefühl und etwas Bildung vermittelt bekommen, was heutzutage ja nicht mehr gang und gäbe ist.
Solche Sammlungen gibt es natürlich aus vielen Verlagen und von vielen Herausgebern. Insofern sind die Hefte, die ich hier nenne nur als Beispiele zu verstehen.

Der Fluch der "ersten Stücke"

Eine Kritik muss ich hier allerdings vorab loswerden: Die Zahl der Hefte und Sammlungen, die im Titel das Adjektiv "leicht" führen ist Legion! "Leichte Stücke aus Italien", "Meine ersten Meister des Barock", "Easy Pieces from..." und so weiter: es ist einfach unglaublich, wie leicht alles ist! Jahrelang sind die Leute am Üben, und dann müssen sie wieder und wieder Noten akzeptieren, die "leicht" sein sollen... Also wirklich!

Meistens stimmt das schlicht nicht. In vielen Heften finden sich vorne einige einfachere Stücke, und dann steigt der Schwierigkeitsgrad mal sanft, mal steiler an. Die letzten Stücke sind nachweislich (dafür kann man Kriterien finden) nicht mehr einfach. Das Ganze ist ein Verkaufstrick, sonst nichts.

Renaissance

Musik der Renaissance kommt fast aus einer anderen Welt. Die Tänze sind noch am besten verdaulich, Tanz und Nachtanz oder Allemande und Galliarde sind die Keimzelle der barocken Suite. Die kontrapunktischen Stücke wie Fantasie und Ricercar sind oft schwer zu verstehen und viele einfache Werke dieser Art gibt es nicht. Richtig cool sind die Variationen über Tenores wie Folia oder Passemezzo - daran kann man improvisieren üben wie heutzutage über einen Blues, und das haben die Musiker in der Renaissance auch getan.

Von Heinz Teuchert gibt es eine Serie mit dem unvermeidlichen Titel "Meine ersten Gitarrenstücke". Das Heft 3 heißt "Meister der Renaissance" und enthält sehr schöne Stücke unterschiedlichen Charakters. Die letzten vier sind so viel schwieriger, dass ich sie erst nach einer längeren Pause durchnehme - siehe die Kritik oben.
Karl Scheits "Leichte Stücke aus Shakespeares Zeit" durfte ich selbst als Schüler durcharbeiten und halte es immer noch für sehr gut.
In Scheits "Die leichtesten Solostücke berühmter Lauten- und Gitarrenmeister" finden sich im ersten Teil Stücke der Renaissance; die zweite Hälfte ist der Klassik gewidmet.

Fortgeschrittenen Schülern stelle ich irgendwann immer ein Heft von Emilio Pujol namens "Hispanae Citharae Ars Viva" vor, das einige sehr schöne und sehr schwierige Stücke enthält, die man absolut kennen darf.
Wer diese Musik mag, sollte nach Komponisten wie Luys Milan, Francesco da Milano und Thomas Robinson forschen. "El Maestro", das einzige Werk von Milan, erscheint 1536 als erste Publikation für Vihuela und hat ein erstaunliches Niveau. Es enthält schlicht keine einfachen Stücke. Die frühe deutsche Musik ist eher etwas für Hartgesottene; gleiches gilt für polnische Renaissancestücke.

Barock

Die musikalische Sprache des Barock ist uns schon vertrauter. Sie ist von der Technik des Generalbasses geprägt. Die Gleichberechtigung der Stimmen der polyphonen Werke der Renaissance wird aufgegeben zugunsten einer neuen Struktur: die Oberstimme führt, die Basslinie ist der Kontrapunkt, die Begleitung wird nach dem bezifferten Bass improvisiert. Das ist vom Konzept her so ähnlich wie eine Rockband; die harmonische Sprache ist natürlich eine andere.

Mein Lieblings - Einführungsheft ist wieder vom Herausgeber Teuchert, "Meister des Barock".
Karl Scheit hat eine ganze Reihe von Komponisten und anonymen Sammlungen herausgegeben, "Leichte vergnügliche Originalstücke aus dem 18. Jahrhundert" (was für ein Titel!) enhält schöne, einfache Stücke, die Suiten von Logy sind schon ganz schön anstrengend, und bei de Visée braucht man ordentlich Biss.

Überhaupt hat man mit gezupfter Barockmusik ja ein ständiges Problem: die Gitarre der Zeit unterschreitet den Tonumfang der heutigen Gitarre erheblich, und die Lauten haben viel mehr Umfang im Bass. Abgesehen davon, dass Doppelsaiten und geringere Saitenspannung einen anderen Klang erzeugen, muss man die Stücke sehr stark bearbeiten. Große Teile der Literatur für barocke Lauteninstrumente sind dadurch auch noch gar nicht großartig berücksichtigt worden. Italienische Musik für Arciliuto oder Stücke für Chitarrone sieht man selten in Bearbeitungen, Gleiches gilt für französische Lautenmusik.
Von Sylvius Leopold Weiss gibt es einige Einzelsätze und ganze Suiten, die aber definitiv für Fortgeschrittene sind. Die Lautenwerke des Herrn Bach sind ein ganz anderes Problem...
Eine lohnenswerte Entdeckung sind die Partiten für Colascione von Brescianello, die Ruggero Chiesa publiziert hat. Wenn man positive Klischees zu italienischer Musik bestätigt haben möchte: bitte sehr, hier!

Klassik

Die Klassik ist eine besondere Epoche für uns Gitarristen: die Gitarre erhält ihre heutige Bauform (im Prinzip) und Stimmung, die Stücke kann man eins zu eins spielen. Und die Gitarre erobert den Salon - deshalb gibt es viel Meterware, also Musik, die qualitativ einige Etagen unter der der Säulenheiligen Haydn, Mozart und Beethoven rangiert. Es gilt, die Perlen zu entdecken, und viele Stücke werden zu guter Musik dadurch, dass sie jemand wirklich gut spielt!

Die Klassik ist auch die Zeit der Zerlegungen und der Etüden! Akkordisch aufgebaute Stücke, die durch immer neue Anschlagsmuster virtuos wirken und "typisch gitarristisch" sind, Stücke, bei denen sich hinter dem Titel "Übungsstück" wunderbare Musik verbirgt!
Von etlichen Komponisten gibt es Hefte mit 12 oder 24 Etüden pro Opuszahl, die man sicher nicht alle gespielt haben muss...
Und Werke für zwei Gitarren haben die Komponisten auch fleißig komponiert, darunter Material für Anfänger und richtig schwierige Sachen.

Im "Gitarren-Archiv" des Schott Verlages sind viele Werke der Klassik und Romantik erschienen. Mein Einstiegs-Favorit ist "Carulli-Brevier Band 1" in der Kreidler-Ausgabe. Das Heft ist nicht so dünn wie manches andere, und wenn einem ein Stück nicht so gefällt, hat man es immerhin als Blattspielmaterial mit dabei. Es beginnt einfach und endet mit den flotten Rondos aus Carullis Gitarrenschule, die in vielen Sammlungen zu finden sind.
Jeder fortgeschrittene Schüler wird bei mir irgendwann mit "Matteo Carcassi, 25 Etüden Opus 60" in der Teuchert-Ausgabe konfrontiert. Das ist ein Heft, das groß und stark und schlau macht! Wenn auch einige der Stücke vorwiegend Fleißarbeit zur sicheren Griffbrettkenntnis zu sein scheinen, so werden doch viele sehr grundlegende Techniken behandelt, die man meiner Ansicht nach studiert haben sollte, bevor man sich Tárrega, Turina, oder Villa-Lobos nähert. Diese Funktion hat bei anderen Lehrern vielleicht Sor, Opus 35 oder was immer, aber jeder Gitarrenschüler sollte sich irgendwann mit so einem Paket Schwarzbrot auseinander setzen!

Ein Tipp für Vielspieler: Unter dem Serientitel "Klassiker der Gitarre" gibt es bei "Deutscher Verlag für Musik, Leipzig" mehrere dicke Bücher von 120 bis 200 Seiten, die endlos Material aus Klassik und Romantik enthalten. Banales neben guten Sachen, kleine Etüden neben 20 minütigen, schwierigen und guten Sonaten von Carulli; die Bände sind nach Schwierigkeit geordnet, die Ausgaben sehr glaubwürdig und der Preis nicht so hoch (Je dicker das Buch, desto niedriger der Preis pro Seite.).

Romantik

In der Romantik sinkt die Popularität der Gitarre wieder etwas: die Stücke von Coste, Mertz, Marschner und Kollegen sind nicht mehr so bekannt wie die der Virtuosen der Generation davor, die vielfach im Laufe ihres Lebens von Madrid über Neapel, Wien, Moskau und Petersburg nach Paris tourten (mit Pferdestärken). Cano, Damas, Ferrer und Arcas sind spanische Namen, die man kaum präsent hat, und schon kommt die Schlussfolgerung: wir spielen alle zu wenig Tárrega!

Von Wolf Moser gibt es ein Heft namens "Leichte Gitarrenstücke aus Spanien", das ich gerne einsetze, aber... "leicht" ist auch hier untertrieben.
Von Francisco Tárrega gibt es bei Chanterelle Faksimile - Ausgaben, die Originale und Bearbeitungen enthalten, darunter langsame Sätze aus Beethoven-Klaviersonaten oder Fragmente aus Wagner-Opern. Schwere Kost! Der Verlag Berbén hat ein Heft mit "23 composizioni originali" herausgebracht, das ich sehr schön finde. Das technische Niveau ist hoch, aber das Bemühen um Tárrega lohnt allemal! Allein wie er das Lagenspiel aus klanglichen Gründen einsetzt ist bewusstseinserweiternd...

Populäre Musik

Populäre Musik - Rock, Pop, Blues, Jazz, Metal, Filmusik, was auch immer - IST COOL! Das ist mal klar! Warum lässt der brave Gitarrenlehrer seine Schüler nicht mehr davon spielen?

Nehmen wir mal an, er sei guten Willens, möchte erfolgreich arbeiten und wünscht sich, dass seine Schüler gut Gitarre spielen lernen. Was sind wirklich die Gründe dafür, dass er immer wieder abblockt, wenn die Frage nach bekannten Stücken kommt?
Ich versuche Antworten zu geben, die von "der Lehrer hat Schuld" über "die Musik ist schuld" bis hin zu "die Schüler sind schuld" Gründe aufzählen. Leider gibt es die meisten Punkte in blau; das liegt teilweise an Gruppendynamik und sicher daran, dass ich wie immer nur durch meine Brille schauen kann...

Der Lehrer...

1. Der Lehrer kennt die Musik nicht.
Ich gebe zu: ich höre kaum Radio. Weder beim Arbeiten, noch beim Autofahren, noch beim Joggen. Ich bin über die meistgespielten Songs im Radio nicht mehr informiert, und das ist ja auch korrekt so, schließlich ist Popmusik seit Rock'n Roll die Musik der Jugend und der Rebellion.

Gegenmittel: Wir leben im Zeitalter des Internet! Wenn mir ein Schüler einen youtube - link schickt, höre ich mir das an, überlege, ob man das nutzen könnte, und ich kann auch durchaus im Netz nach Songtexten mit Akkorden suchen. Man sollte als Schüler also nicht nur den Kopf schütteln über meine Radio-Jingle-Allergie, sondern lieber handeln und schauen, ob ich dann drauf anspringe...

2. Der Lehrer kann das nicht bearbeiten.
Dieser Grund kann verschiedene Teilursachen haben: entweder der Lehrer kann es wirklich nicht oder hat keine Lust dazu, oder es erscheint unsinnig, weil das Stück ungeeignet ist (das allseits beliebte Klavierstück passt eben nicht für Gitarre) - dazu später mehr.
Zwei weitere wichtige Ursachen: der Schutz geistigen Eigentums - darf man selber bearbeiten, oder MUSS man kaufen - und die Menge an Arbeit: gerade eine spielbare, aber trotzdem noch halbwegs korrekt klingende Bearbeitung zu erstellen dauert Stunden und Stunden. Welcher Musikschullehrer kennt das nicht: ein halbes Wochenende mit der Bearbeitung eines Elton-John-Songs verbraten, und dann spielt das ein einziger Schüler, nicht mal wirklich motiviert, weil es doch schwer zu spielen ist, und das war's. Toll!

Gegenmittel: Da weiß ich keines. Bearbeitungen schreiben kann großen Spaß machen, einen mit Stolz erfüllen, und der Lohn sind manchmal viele Nutzungen über die Jahre, vielleicht mal ein kleines Lob. Geld verdienen darf man damit nicht!
Allerdings sind viele Wiederaufnahmen oft eine Illusion, denn Popmusik hat ein kurzes Verfallsdatum. Und statt Lob gibt es häufig nur Kommentare wie "Warum können wir nicht mal öfter sowas machen, statt immer nur Klassik zu spielen...".

Die Musik...

3. Die Stücke sind ungeeignet.
Viele Songs beziehen ihren großen Charme daraus, dass jemand singt und eine Geschichte erzählt, sind aber bei näherer Betrachtung unglaublich simpel gestrickt, bestehen über weite Strecken aus wenigen Tönen und sind ausgesprochen langweilig, wenn man sie instrumental umsetzt. Daran mag auch liegen, dass man in den Heften, die man kaufen kann, immer wieder dieselben Songs findet.

Und Popmusik ist rhythmisch unheimlich vertrackt. Rhythmisch korrekt spielen zu lernen ist DAS GROSSE THEMA jeglichen Musikunterrichts, und ich hoffe, man darf als Lehrer ein bisschen frustriert sein, wenn Schüler, die noch Schwierigkeiten mit punktierten Vierteln haben verlangen, R & B-Hits zu spielen. Die bekannten Interpreten sind vielleicht schon als Baby mit Mama in die Kirche gegangen, wo nicht nach dem Gotteslob, sondern Gospels mit Band und Klatschen auf dem Off-Beat gesungen wurden und können das einfach.

Viele Stücke sind insgesamt durchaus schwierig. Sehr viele Musiker der internationalen Popmusikszene welcher Stilrichtung auch immer sind wirklich große Könner! Ein bisschen Respekt, bitte! Auch eine Filmmusik für Orchester ist als Bearbeitung für Gitarre nicht immer einfach!

Gegenmittel: Geduld. Fleiß. Realistische Ziele.
Kein Geigenschüler, der gerade das erste Menuettchen kratzt, erwartet, nächste Woche Brahms' Violinkonzert als Hausaufgabe zu bekommen. Gitarrenschüler stöhnen, weil in dem zweistimmigen Stück nicht nur die zweite Lage, sondern auch noch ein gegriffener Basston verlangt wird. Aber sie halten ihren Lehrer für borniert, weil er Metallica-Hits verweigert, von denen er weiß, dass sie noch zu schwierig sind!

4. Die Stücke sind nicht verfügbar.
Ein komplexes Thema. Die Gema und freundliche Anwälte wachen darüber, dass niemand geistiges Eigentum klaut, und das ist auch in Ordnung. Es gibt große Mengen Noten kostenlos im Netz, Originalausgaben und Facsimiles, deren Copyright abgelaufen ist, und Abschriften in Notenschreibprogrammen, aber dabei ist garantiert keine populäre Musik oder auch sogenannte E-Musik von Komponisten, die davon noch ihr Butterbrot bezahlen wollen. Ich kann hier - siehe unten - eine Courante von Robert de Visée publizieren, aber wenn ich eine Bearbeitung von "Yesterday" hier hinterlege, kommen die Anwälte von Paul McCartney und verklagen mich.
Es gibt im Bereich Lehrbücher für Jazz eine ganze Menge Bücher, in denen Stücke beinahe original stehen, aber eben so weit abgewandelt, dass die Anwälte keinen Erfolg haben. Und die Titel sind dann auch geändert - "My funny Valentine" heißt dann eben "My Valentine", und fertig.

Man kann sehr wohl vieles als Songbooks oder in Bearbeitungen kaufen. Aber wer gibt schon 29 Euro wegen eines Songs aus?

Es gibt geschickte Vermarktungstrategien, die bei Bearbeitungen von Popmusik immer wieder angewendet werden: jedes Heft mit den "größten Hits für..." enhält immer einen oder zwei mehr oder weniger aktuelle Hits, zwei oder drei weitere, die schon 20 Jahre auf dem Buckel haben, und dann noch Stücke aus dem Bereich Folklore (dafür muss man dann nichts bezahlen), die man schon aus 20 anderen Publikationen kennt. Das war schon im "Liederbuch Student für Europa" mit den Folgebänden "Liederkarren, Liedersonne, Liederbaum etc." so: 5 Hits, 10 Songs für Folkies, Kinderlieder, Volkslieder, und das in jedem Heft. Diese Behauptungen lassen sich durch Internetrecherche leicht überprüfen. Inhaltsverzeichnisse lesen, Kundenkommentare lesen, so erfährt man: die wirklich bekannten und beliebten Stücke (die damit noch lange nicht gut geeignet sind) sind vorhanden, aber brav so verstreut, dass man viel, viel kaufen muss. Wir leben in der freien Marktwirtschaft!

Die Schüler...

5. Das Stück passt dem Schüler doch nicht.
Die Gründe dafür, dass es nicht klappt mit dem fröhlichen Üben von populären Stücken sind oft sehr banal. Der Lehrer sagt "Das kann man nicht bearbeiten, das wird zu schwierig!" aber Schüler und oft auch die Eltern glauben ihm nicht. Tatsächlich kann ein erfahrener Lehrer meist sehr gut einschätzen, was seine Schüler schon zu leisten im Stande sind.

Wer kurze zweistimmige Stücke auf der Gitarre spielen kann, ist in der Regel mit 3 Minuten langen Songs, die rhythmisch sehr komplex sind, vom Tonumfang Lagenspiel erfordern und von der Harmonik eben nicht mit leeren Bässen zu machen sind garantiert überfordert. Die anfängliche Begeisterung ist schnell dahin, und jeder merkt irgendwann, dass minutenlang einstimmig pentatonische Vierton-Phrasen zu dudeln langweilig ist.
Genauso ist es mit der Songbegleitung: es gibt extrem wenige attraktive Songs, die ohne Barrégriffe auskommen. Die sind aber schwierig, und schon die Standardakkorde wechseln zu üben braucht eine gewisse Motivation.

Gegenmittel: siehe oben: Blood, Sweat & Tears. Realistische Einschätzung des bisherigen Könnens, und Begreifen, dass man mit neun vielleicht noch nicht kann, was gestandene erwachsene bühnenerfahrende Musiker auch nicht aus dem Ärmel schütteln. Aber wenn man sich anstrengt und Fortschritte erkämpft, statt zu denken, die Gitarre sei eine Art Tablet, geht doch etwas. Nach den Akkorden 1-4 lernt man die nächsten fünf, und irgendwann fragt man sich, warum man sich jemals vor F-Dur gefürchtet hat.

6. Es gibt keinen Gruppenkonsens.
Als Gitarrenlehrer habe ich viel Erfahrung mit Gruppenunterricht. In einer Gruppe muss man sich einigen. Bei etwas älteren Schülern verlange ich zu diesem Thema auch etwas Einsatz: auf die Frage "Können wir mal was Bekanntes mit Akkorden spielen?" erwarte ich, dass Links zum Beurteilen von Stücken, die in Frage kommen herausgesucht, herumgeschickt, angehört und bewertet, also in der Gruppe diskutiert werden. Man kommt nicht wirklich vom Fleck, wenn die Hälfte der Mannschaft mit "nö, das finde ich aber doof" die Aktion boykottiert.

Gegenmittel: sind hier extrem simpel, aber ebenso schwierig zu erreichen: ALLE müssen mitmachen. Man muss seinem eigenen Anspruch gerecht werden. Die Einbeziehung des Internet setzt voraus, dass alle Familien einen Anschluss haben und bereit sind, Dinge zu lernen. Kinder, die ältere Geschwister haben, gehen oft sehr selbstverständlich mit diesem Thema um.

7. Unser Drucker ist kaputt.
Wie bereits gesagt: ich setze ein bisschen etwas voraus, aber der geneigte Leser glaubt gar nicht, wie lange es in einer Fünfergruppe dauern kann, bis alle das Material dabei haben. "Unser Drucker ging nicht", "Meine Eltern rufen nicht immer Mails ab" (ich hatte doch gesagt, dass ich eine schicken werde...) und "Noten vergessen" sind die häufigsten Entschuldigungen, die die Arbeit wirklich wochenlang aufhalten können. Minutenlanges Gegacker von Teenagern, weil beim Dritten die Blätter auf den Boden segeln, die lose im Heft liegen ist auch nicht ewig lustig.

Gegenmittel: Druckerfarbe kaufen, eine Mail mit der Bitte um Ausdrucken schreiben, die "losen Zettel" in eine Mappe packen, wichtig nehmen und mitbringen.

8. Wir wollen aber nicht singen.
In der Realität sieht es so aus, dass man als Lehrer regelrecht Vorwürfe gemacht bekommt, weil man keine populären Stücke im Unterricht nutzt, und alle oben angeführten Gründe "zu schwierig, musikalisch ungeeignet, zu schwierige Akkorde" werden abgelehnt. Stimmt alles nicht, man muss doch einen Rap für Gitarre solo bearbeiten können!

Dann hat man sich endlich auf etwas geeinigt, der Lehrer hat die Akkorde in eine Tonart transponiert, die möglichst wenige schwierige Griffe nötig macht, eventuell kommt ein Kapo zum Einsatz, und dann weigern sich alle zu singen und wollen minutenlang fünf Akkorde wechseln, von denen drei nicht geübt wurden. Da ich das nicht gut aushalte, brummele ich ein bisschen von der Melodie und werde ausgelacht, weil ich nicht gut singe. Na großartig, so sind Beyoncé Knowles und Samu Haber auch zu Stars geworden!

Gegenmittel: Teenager fühlen sich angeguckt und beurteilt. Ständig. Alles, was ich mache beurteilen die Altersgenossen als cool oder nicht. Also mache ich möglichst - nichts. Dann kann mir nichts passieren. Ich verstehe das, ich kann mich gut erinnern, meine Akne war so ausgeprägt, dass ich ein tolles Spottziel abgab.
Wenn man aber Lieder mit Akkorden begleiten lernen will, muss man schon ein bisschen singen und sich von dem Gefühl "alle finden mich komisch" befreien.
Ich muss in diesem Zusammenhang immer an eine Austauschschülergruppe aus Polen denken, die mal hier gastierte, und die mit ihrem Lehrer schockierend toll und natürlich gesungen haben. Ein bisschen geziert haben die sich auch, aber... wahrscheinlich konnte der Lehrer sie besser motivieren.

Wenn man "deutsche Eigenschaften" beschreiben will muss "Ein durchschnittliches deutsches Kind singt nicht." unbedingt dabei sein. Wir beneiden alle Länder um uns herum um ihre tollen Folksongs, wir besuchen irische und afrikanische Trommelkurse, aber selber singen, und sei es in einer Gruppe von fünf Leutchen, mit denen wir seit Jahren zusammen Gitarre spielen lernen - igitt, no way!

Zusammenfassung:

Doch, die Filmmusik zu den Piraten der Mikrobik macht mir auch Spaß! Und es gibt immer wieder Songs, auch Chart-Erfolge (die wirklichen Perlen werden oft nicht so bekannt), die sowas von gut sind...

Das große "ABER" setzt sich aus der Machbarkeit, die viel mit dem Alter der betreffenden Schüler zu tun hat, und aus der tatsächlichen Bereitschaft mitzumachen zusammen. Niemand wird groß und kann etwas ganz tolles, weil er es sich wünscht. Es steht ein bisschen Arbeit davor. Genau das ist das phantastische an Musik: musizieren geht nicht auf Knopfdruck. Es ist immer ein Lernprozess, den man durchlaufen darf, egal, ob man eine Beethovensonate spielen, oder Carltons "A thousand miles" spielen UND singen will.

Der durchschnittliche Gitarrenlehrer, der versucht, seinen Schülern etwas beizubringen, sucht immer nach Wegen, die funktionieren, die Können und Wissen erzeugen und festigen, und auf denen man aufbauen kann. Man kann durch Schaumschlägerei, Vereinfachung und gute Werbung in der Öffentlichkeit ein Bild erzeugen, dass suggeriert, dass man hier ganz einfach, ohne große Mühe phantastische Sachen lernt und in kürzester Zeit die großen Bühnen rockt - die Diskussion über die Auswirkungen der Castingshows findet öffentlich genug statt.

Tatsächlich kann man den Uralt-Sprüchen wie "Übung macht den Meister" immer noch nicht viel hinzufügen. Selbst Leute, die auf einer Zugfahrt eine Beethovensonate durchlesen, und sie dann hinterher ohne in die Noten zu schauen spielen können, müssen sie immerhin lesen. Wer über etwas weniger Genialität verfügt, den zieren Bescheidenheit und Eifer, auch im Zeitalter des Internet. Und auch die "fabelhafte Welt der Amélie" klingt erst fabelhaft, wenn man ganz konkret übt.

Positives Resümee:

Wenn im Unterricht Popmusik gespielt wird und die Schüler alt genug sind und sich wirklich an der Materie abarbeiten, kann das großartige Fortschritte geben! Da hier oft gänzlich andere, eher schwierigere rhythmische Probleme vorliegen als bei klassischer Musik, ist dieses Lernen besonders wichtig. Ich glaube allerdings, dass wirkliches Nachdenken über Rhythmus, also Zählen beim Spielen und überhaupt das Begreifen von Punktierungen und Überbindungen, erst ab dem "Bruchrechenalter" möglich ist. Vorher können Kinder das entweder aufgrund ihrer Begabung, oder eben nicht. Das ist aber eine Schlüsselfrage bei dieser Thematik.

Wenn man zum Beispiel die Bearbeitungen von Michael Langer im Dux Verlag, oder die "Pop Hits" von Ansorge/Szordikowski (Schott) anschaut, wird sofort klar: man muss gegriffene Bässe, Zerlegungen und drei- und vierstimmigen Anschlag beherrschen. Während Folksongs wie "Amazing Grace" oder "Aura Lee" 16 respektive 12 Takte umfassen, braucht man für die "Titanic" etwas längeren Atem, und "Over the Rainbow" verlangt auch mal den 10. Bund.
Aber mit Geduld und Fleiß lernt man ja irgendwann, wie die Noten über dem Regenbogen heißen...

Werktreue oder freie Bearbeitung

Durch die Geschichte der Bearbeitung von Stücken für Lauten, Vihuela oder Barockgitarre für die moderne Konzertgitarre zieht sich immer wieder die Frage nach der Genauigkeit der Übertragung. Dabei gab es verschiedene Ansätze:

  • Jeder Ton in einer Tabulatur wird nur als bis zum nächsten erklingenden Ton dauernd notiert. Alle Noten sind also als kurze Töne aufgeschrieben, nichts wird gehalten, Lauten haben sowieso keine lang klingenden Töne.
    Dies ist eine nüchtern-wissenschaftliche Betrachtungsweise, die bei den frühen Übertragungen angewandt wurde.
  • Die Töne werden so übertragen, wie die Dauer im harmonisch / melodischen Gefüge sinnvoll wäre. Hier sind Töne manchmal länger, als sie klingen würden und als sie technisch möglich wären.
    Diese Herangehensweise beinhaltet mehr "musikalische Meinung".
  • Die musikalisch sinnvolle Länge der Töne wird angegeben, aber bezüglich der technischen Möglichkeiten korrigiert. Wenn eine Note nicht gehalten werden kann, wird sie als kürzer notiert. Der Herausgeber braucht wirkliches genaues Wissen über Instrument und Spieltechnik, Möglichkeiten von Fingersatz etc.

Aus heutiger Sicht sind die frühen Auseinandersetzungen über die Übertragung zum Beispiel der Werke von Luys Milan schon irgendwie komisch, aber irgendwie musste die Entdeckungsreise ja anfangen...

Karl Scheits Bearbeitungen von Barockmusik

Karl Scheit, der große Gitarrenpädagoge und Herausgeber, hat die D-Moll Suite von de Visée 1944 in der Universal Edition (Nr. 11322) veröffentlicht. Er ist mit der Barockgitarrentabulatur insofern sehr frei umgegangen, als er den Tonumfang der modernen Gitarre reichlich ausgenutzt hat. Die Barockgitarre dürfte für diese Stücke bestenfalls ein tiefes d auf dem vierten Chor haben; der fünfte Chor, das a, wurde für Solostücke unisono hoch gestimmt. Scheit hat munter nach unten oktaviert und die 5. und 6. Saite der Konzertgitarre genutzt. Außerdem hat er durchzustreichende Akkorde durch Einzelnoten ersetzt, ausgedünnt oder jedenfalls nicht als in Rasguado-Manier zu spielen gekennzeichnet. Schließlich hat er die Passacaille nicht mit übertragen, weil er sie für musikalisch minderwertig hielt.

In den siebziger Jahren befasste sich Scheit mit Ausgaben der Werke Ludovico Roncallis. Im Vorwort der 1977 bei U.E. publizierten Suite G-Dur gibt er als Originalstimmung der Barockgitarre bei Roncalli zwei hohe d und zwei hohe a auf den Chören 4 und 5 an, sodass die G-Saite der tiefste Ton des Instrumentes ist. Scheit nutzt denn auch in der Ausgabe selten Töne auf der 4. Saite und kaum einmal das C auf der A-Saite und das G auf der tiefen E-Saite. Außerdem gibt er hier sogar bei Auftakten durchzustreichende Akkorde mit Fingersatz für die Anschlagshand. Seine Herangehensweise hat sich also radikal geändert.

Mittlerweile gibt es mit der Nummer UE 34480 eine Neuausgabe der D-Moll-Suite de Visées unter dem Serientitel "New Scheit Edition". Hier wird genauer nach den Quellen gearbeitet, der Umfang im Bass ist reduziert, die Rasguados werden übertragen, und die von Karl Scheit selbst für musikalisch zu schwach gehaltene Passacaille, die tatsächlich harmonisch das interessanteste Stück der Suite ist, wurde in das Heft aufgenommen.

Courante von de Visée für 11chörige Laute

Courante

Eine Seite aus der Saizenay - Handschrift: die Courante aus der bekannten Suite in D-Moll von Robert de Visée in einer zeitgenössischen Bearbeitung für 11chörige Laute. Unten meine Übertragung in Gitarrennotation.

Courante in Noten

Diese Bearbeitung für elfchörige Laute eines der Sätze der genannten D-Moll-Suite aus dem Saizenay-Manuskript ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Einmal sieht man, dass man diese Tabulatur nicht einfach so auf einer Gitarre spielen kann, obwohl sie für ein Manuskript sehr sauber geschrieben ist - die Spielsaiten sind nämlich auf f'-d'-a-f-d-A gestimmt. Diese etwas engere Lage der Intervalle zwischen den Saiten macht auf der Barocklaute Akkorde möglich, die in Gitarrenstimmung kaum zu realisieren sind. Ein harmloses Beispiel ist der Schlussakkord - heftigere Griffe bekommt man bei S. L. Weiss ständig geboten.
(Zum Vergleich: Diese Seite aus dem Capirola - Lautenbuch kann man nach dem Umstimmen der g-Saite auf fis einfach abspielen.)

Die Bearbeitung ist nun für mich insofern interessant, als die Barocklaute wie die moderne Gitarre einen viel größeren Tonumfang hat als die fünfchörige Gitarre (in welcher Besaitung auch immer). Und was macht der barocke Bearbeiter? Tiefe Bässe die Menge einfügen, die Akkorddichte etwas ausdünnen - im Prinzip etwas sehr ähnliches wie K. Scheit anno 1944. Eine hübsche Überraschung, und eine Quelle, die zusätzlichen Stoff zum Nachdenken gibt zur Frage "Lohnt es, Stücke für 5chörige Gitarre auf der modernen Konzertgitarre möglichst imitierend zu bearbeiten und zu spielen, lässt man ganz die Finger davon oder geht man unter der Prämisse "das ist ein völlig anderes Instrument" an die Sache heran...

Grundprobleme bei Bearbeitungen für Gitarre

Was sind eigentlich die Vorüberlegungen, die man anstellt, wenn man ein Stück für Gitarre bearbeiten möchte, das eigentlich nicht für Gitarre gedacht ist?

Manche Stücke sind aus verschiedenen Gründen wenig zum Bearbeiten geeignet, textlastige Popsongs, oder Orchesterstücke, weil ein Orchester doch etwas mehr Sound macht als eine kleine Gitarre und die nur eine Stimme spielenden Orchesterinstrumente wirklich viel schneller spielen können als der Gitarrenanfänger. Trotzdem möchte man ein Stück bearbeiten. Wie geht man die Sache an?

Mein Beispiel sei die Titelmusik der Piraten der Karibik von Klaus Badelt, die alle spielen wollen, und ich hoffe, dass ich mit kurzen Ausschnitten keine Copyright-Verletzung begehe. Es geht hier nicht darum, das Stück komplett zu zeigen, sondern Kriterien für unterschiedliche Möglichkeiten darzustellen.

Der Schwierigkeitsgrad

Ein Stück für ein ausgewachsenes Sinfonieorchester hat keinen Schwierigkeitsgrad für Gitarre - den macht der Bearbeiter. Wenn man die "Piraten für Gitarre" googelt, findet man Ausgaben für Gitarre auf den einschlägigen Seiten, und es ist interessant, vorhandene Kundenbewertungen zu studieren, die teilweise ziemlich genau formulieren, ob das gekaufte Heft schwieriger ist als erwartet, oder die Stücke so einfach gemacht wurden, dass sie nicht mehr wirklich nach dem Original klingen.

Wie komplex man seine Bearbeitung tatsächlich macht, ist von vielen Faktoren abhängig, aber der des kommerziellen Erfolges ist sicher wichtig. Es gibt natürlich gelungene Mischungen zwischen künstlerischen und pädagogischen Aspekten, wie zum Beispiel die Publikationen von Michael Langer oder Peter Ansorge/Bruno Szordikowski zeigen.

Etwas anders ist es, wenn man etwa ein Klavierstück für Gitarre bearbeitet. Da das Klavier einen viel größeren Umfang hat als die Gitarre, und man auf ihm mehr Töne gleichzeitig spielen kann, wird eine anspruchsvolle Bearbeitung immer viel schwieriger sein als das Stück auf dem Originalinstrument. Aber ein Klavier ist noch kein Orchester: einfache Klavierstücke bekommt man auch als Gitarrenbearbeitung ganz gut hin. Man kann zum Beispiel die Klavierbegleitung des Wiegenlied op. 49,4 von Johannes Brahms tatsächlich mit fast allen Tönen (der Schlussakkord!) auf der Gitarre mit auf D herabgestimmter E-Saite spielen. Man turnt dabei zwar in den obersten Lagen herum, aber es ist nicht unendlich schwer.

Der Umfang der Melodie

Dies ist das erste Kriterium bei der Vorbereitung: aus welchen Tönen besteht die Melodie? Den fünftönigen Kuckuck kann man in vielen Tonarten aus dem Wald rufen lassen, die Piraten aber räubern in einer kleinen Dezime. Fängt man zu hoch an, muss man ständig in die hohen Lagen, startet man zu tief, passt nichts mehr unter die Melodie an Basstönen und Begleitung. Konkrete Beispiele:

  • In A-Moll geht die Melodie von e bis g', vom 2. Bund der d-Saite bis zum 3. Bund der hohen e-Saite,
  • in D-Moll von a bis c'', also vom 2. Bund der g-Saite bis zum 8. Bund der e-Saite,
  • und in E-Moll vom h bis zum d'', also von der h-Saite bis zum 10. Bund der e-Saite.
tiefste und höchste Töne

Die tiefsten und höchsten Töne der Melodie sollten erreichbar sein, aber nicht zu tief liegen.

Wenn man eine Version plant, bei der die Melodie bis in die oberen Lagen geht, wird es garantiert nichts für Anfänger.

Akkorde und Basstöne

Ein Stück hat in der Begleitung bestimmte Akkorde, die irgendwie in die Bearbeitung integriert werden wollen. Um einen A7♭9 zu repräsentieren, kann man natürlich a, cis, e, g, b spielen, es reicht aber aus, die Noten cis und b zu setzen: damit hat man die große Terz, den wichtigsten Ton von A-Dur, und die kleine None, die die Septime quasi mit einschließt.
Die sparsamste Möglichkeit, einen Akkord zu bringen, ist seinen Grundton in den Bass zu setzen.

Ein nächstes wichtiges Kriterium für eine Bearbeitung ist also, wie bequem die benutzten Akkorde zu greifen sind, wo die Basstöne liegen und welche von ihnen auf leeren Saiten spielbar sind. Die Grundtöne der benutzten Harmonien sieht man in der folgenden Tabelle.
Die leeren Basssaiten habe ich in der Tabelle grün gefärbt. Je mehr grün in einer Reihe, desto bequemer ist wahrscheinlich die Tonart.

Tonart t s d D tP sP dP Umfang
Am-Moll Am Dm Em E C F G e-g'
H-Moll Hm Em Fism Fis D G A h-d''
C-Moll Cm Fm Gm G Es As B g-b''
Cis-Moll Cism Fism Gism Gis E A H gis-h''
D-Moll Dm Gm Am A F B C a-c''
E-Moll Em Am Hm H G C D h-d''

Die leere g-Saite habe ich dabei als Basston nicht berücksichtigt. Es wird nur selten vorkommen, dass ich das leere g neben vielen tieferen Basstönen als Grundton benutze. Wenn ich in C-Moll eine Dominante mit Grundbass haben möchte, dann mit einem tiefen G, sonst klingt sie einfach nicht dominant genug.

Wenn man die "grünen" Akkordbuchstaben einfach zählt, sehen einige Tonarten ziemlich gleichberechtigt aus. Es ist aber ein großer Unterschied, ob, wie in A-Moll oder D-Moll die Hauptakkorde Tonika, Subdominante und Dominante leere Basstöne haben, oder wie in H-Moll die Subdominante, und die Parallelen von Tonika und Molldominante, denn die Hauptakkorde kommen deutlich häufiger vor: wenn man locker zählt, hat man 50 halbe Takte, die mit den Hauptharmonien begleitet werden, und knapp 20 mal eine der Parallelen.

In einer Bearbeitung in H-Moll müsste man ständig H und Fis im zweiten Bund der A- und E-Saiten greifen, und hätte wahrscheinlich sehr viele Barrégriffe in dieser Position, während man in A-Moll für Tonika und Dominante immer einen leeren Bass zur Verfügung hätte. Also könnte man über die Tabelle noch sagen: je mehr grün in der linken Hälfte, desto sympatischer.
Wenn man ein bisschen Gitarre spielen kann weiß man aber auch so: ein Stück in A-Moll wird wahrscheinlich "bequemer liegen" als eines in Cis-Moll, auch wenn dort tP (Tonikaparallele) und sP (Subdominantparallele) E-Dur und A-Dur heißen.

Die Tonartwahl

So kommt man also über den Tonumfang der Melodie und die begleitenden Harmonien dazu, eine passende Tonart auszusuchen. Wenn man hier sinnvoll vorgearbeitet hat, kann es sein, dass das Urteil über die Bearbeitung hinterher Prädikate wie "sehr gitarristisch gemacht" oder "liegt gut" enthält.

Unter den vielen Werken von Sylvius Leopold Weiss, des wichtigen Komponisten für die Barocklaute, werden zur Bearbeitung häufig solche ausgewählt, die man in "gitarrenfreundliche" Tonarten transkribieren kann, und man macht die Bearbeitung gerne so, dass die tiefe E-Saite auf D umgestimmt wird. Damit hat man fast den Tonumfang der 11chörigen Barocklaute. Weiss hat aber durchaus nicht nur in "bequemen" Tonarten geschrieben, allerdings werden für Tonarten wie F-Moll oder A-Dur die meist leer gespielten (je nach Instrumententyp kann man bis zum 9. Chor auch noch greifen) Bässe entsprechend auf As, B, C, D, Es, F, G oder auf A, H, Cis, D, E, Fis, Gis gestimmt, und das ist auf der Gitarre nun mal nicht möglich. Also hängt die Tonart wenig vom Original oder gar von Tonartencharakteristik ab, sondern schlicht von der Frage "Wie unspielbar hätten Sie's denn gerne?".

Nach dem, was ich bisher geschrieben habe, wären also A-Moll, D-Moll oder E-Moll die Tonarten der Wahl. Wenn man sich noch mal den Tonumfang vergegenwärtigt, könnte man zusätzlich noch sagen: in A-Moll gibt es eine relativ tief liegende Bearbeitung, die einfacher zu spielen sein wird, aber eben nicht so viel hermacht, in der Höhe nicht so strahlt.

Rhythmus

Das Stück steht im 12/8 Takt, hat in der Oberstimme meist 3/4 oder 6/4 Taktstrukturen, während im Bass/Schlagzeug manchmal ein 6/8 Gegenrhythmus gesetzt wird. Diese quasi Hemiolen können innerhalb des 12/8 Taktes einfach notiert werden.

Der ständige Wechsel zwischen langen und kurzen Notenwerten und zwischen den "inneren Taktstrukturen" 3/4 und 6/8 macht das Stück nicht gerade einfach.

Notenbeispiele

Es folgen Beispiele aus vier denkbaren Bearbeitungen:

  • eine möglichste einfache Bearbeitung in A-Moll
  • eine Version in A-Moll, die mit "dickeren" Akkorden aufgefüllt wird
  • in D-Moll bekommt der Pirat eine tiefe D-Saite, das E wird herunter gestimmt
  • E-Moll ist die Tonart, in der es am höchsten hinauf geht

Die beiden letzten Bearbeitungen sind grundsätzlich schwieriger, weil sie höher auf dem Griffbrett liegen. Hier habe ich auch mehr Akkordtöne und im Bass viele Gegenrhythmen eingebaut, da ich mit einem fortgeschritteneren Spieler rechne.

Wenn man die folgenden Aussagen über Schwierigkeiten einer bestimmten Version bewerten will, und sich einen Eindruck davon verschaffen will, wie die Fassungen im Vergleich sind, muss man die Beispiele ein paar Mal durchspielen.

Stückanfang

Die einfache Version in A-Moll enthält im Bass das Nötige, ist aber trotzdem durch die gegriffenen Bässe f, c, und F nichts mehr für Anfänger.

erste Takte a

In der schwierigen Fassung in A-Moll sind zu den Basstönen Akkordtöne mit eingefügt. Der Satz ist nicht konsequent dreistimmig geschreiben, sonst müsste über dem E im zweiten Takt eine Pause stehen. So bleibt das Notenbild übersichtlicher - gängige Praxis in Noten für Gitarre. Man braucht hier aber schon mehr Griffsicherheit als in der leichten Version.

erste Takte b

In der D-Moll-Version liegt die Melodie eine Quarte höher - das ist schön - aber man bekommt es gleich mit B-Dur-Barrégriffen und F-Dur im ersten Bund zu tun. Das tiefe F auf der 6. Saite ist jetzt natürlich im 3. Bund - wer noch keine Gelegenheit hatte, sich an so etwas zu gewöhnen, schluckt vielleicht erstmal.

erste Takte c

In E-Moll ist die 6. Saite wieder normal gestimmt, aber es gibt gleich einen C-Dur-Barré in der dritten Lage, und die Molldominante H-Moll fordert auch einen Barré. Im letzten Takt wird zunächst ein G-Dur-Akkord mit den Fingern 3 und 4 gegriffen, direkt danach muss man aber die beiden gs mit den Fingern 1 und 2 greifen, um das a' auf der e-Saite zu erreichen. Das wird kein Ponyhof!

erste Takte d
Höhere Töne in der Melodie

Mein Kommentar beginnt hier bei den Fassungen in D- und in E-Moll:
Nach dem Taktstrich ist immerhin fast der Spitzenton der Melodie erreicht - die Melodie geht häufig bis zum b, der Sexte der Tonleiter. Hier wird mit der Subdominante harmonisiert, man braucht also in D-Moll einen G-Moll-Akkord. Ein Barré über drei Saiten reicht aus für die Melodie samt folgenden Tönen und Mittelstimme, aber ich muss das tiefe G - ungewohnt - im 5. Bund der 6. Saite greifen. Am Ende des Taktes geht es dann wieder in die erste Lage, um den B-Dur-Akkord im neuen Takt dort greifen zu können.

In E-Moll hat man für die Subdominante ein schönes leeres A im Bass, aber das mittlere e in der Taktmitte wird im 7. Bund der A-Saite gegriffen. Das fis vorm Taktstrich muss man dann auch noch auf der h-Saite greifen, um dann auf dem 4. Finger zum e' im C-Dur-Akkord zu rutschen - das ist nicht so einfach!

schwierige Stelle in d und e

Die gleiche Stelle ist in den A-Moll-Bearbeitungen vergleichsweise unspektakulär: der höchste Ton ist ein f' im ersten Bund der e-Saite - das ist weiter keine Schwierigkeit. Wenn hier überhaupt etwas schwierig ist, dann das gegriffene f auf der d-Saite, oder das Springen in die Akkorde nach den Taktstrichen in der Fassung rechts.

gleiche Stelle in a, einfach und schwieriger
Zweiter Teil
2. Teil in D

Diese Stelle zu Beginn des zweiten Teiles fordert einen schnellen Lagenwechsel nach dem ersten ungewohnten D-Moll-Akkord mit Quinte im Bass, und danach wieder einen Sprung zur Subdominante in der 3. Lage mit dem tiefen G im 5. Bund. Dann muss der kleine Finger treffsicher umgestellt werden.

2. Teil in E

In E-Moll ist der erste Akkord schwierig wegen des H im 7. Bund der E-Saite, man muss sofort den kleinen Finger umstellen und darf dann in die 5. Lage springen.

In diesen beiden Fassungen und der schwierigeren in A-Moll habe ich versucht, ein bisschen "Percussion" im Bass am Ende des ersten Taktes und entsprechenden Stellen einzubauen.

In den A-Moll-Bearbeitungen ist ein Problem, dass unter den letzen Melodieton der gezeigten Phrase kein Basston mehr passt. Natürlich könnte man das d auf dem 5. Bund der A-Saite unter das f setzen, aber das wäre eine Schwierigkeit, die sehr viele Spieler ausschlösse, die das Stück ansonsten wohl schaffen würden. In der Version rechts sieht man, dass ich das d einfach nachschlagen lasse - ein typischer Bearbeitungs-Kompromiss.

2. Teil in A
Schnelle Griffwechsel in der Lage
schnelle Griffwechsel in D

Diese Stelle ist sowohl in D-Moll als auch in E-Moll schwierig: der 2. Finger muss von der h-Saite auf die e-Saite gesetzt werden, und der 4. Finger auf die h-Saite, um den Wechsel zwischen D-Moll und G-Moll bzw. E-Moll und A-Moll zu bewerkstelligen. Danach geht es hinunter in die tiefen Lagen.

schnelle Griffwechsel in E

In E-Moll hat man zusätzlich einen Barrégriff, was die Sache nie einfacher macht. Außerdem braucht man im zweiten gezeigten Takt wie in D-Moll einen "Klappbarré", aber danach sofort einen Barrégriff in der 2. Lage. Die entsprechende Stelle in A-Moll hat kaum Schwierigkeiten und ist deshalb weniger zeigenswert.

Dieser schnelle Wechsel zwischen den Barrégriffen vom "Typ A-Moll" und "Typ D-Moll" kommt im Stück häufiger vor.

Griffwechsel in der Paralleltonart

Die folgende Stelle bringt in D-Moll zunächst einen F-Dur-Akkord in der 1. Lage, danach einen von D-Dur abgeleiteten Griff in der 3. Lage, dann springt man in einen C-Dur-Barré im dritten Bund, "holt" sich dabei ein f auf der h-Saite mit dem 4. Finger, und darauf folgt wieder F-Dur in der 3. Lage, diesmal über sechs Saiten.

Die Stelle in E-Moll ist sehr ähnlich, nur hat man hier den Vorteil der leeren d-Saite unter der Dominante zu G-Dur. Dafür ist der letzte Griff, bei dem ich gerne ein tiefes G im dritten Bund der E-Saite, aber auch ein h' im siebten Bund der hohen e-Saite und ein d' auf der h-Saite dazwischen hätte eine üble Überstreckung. Dieser schöne Griff kommt natürlich häufiger vor - man gönnt sich ja sonst nichts.

Wechsel tP und deren D

In beiden A-Moll-Fassungen ist die Stelle wieder viel einfacher, da kein Lagenspiel stattfindet. Nur die gegriffenen Basstöne C und G sorgen für Probleme, wenn man sich zu früh an das Stück herantraut.

Wechsel tP und deren D in A
Der Spitzenton

Die Stelle mit dem ominösen höchsten Ton der Melodie, die ja wichtig für die Auswahl der Tonart ist, ist in den A-Moll-Bearbeitungen nicht weiter schwierig. Die kleine Septime der Tonleiter, das g, liegt ganz bequem im 3. Bund der hohen e-Saite. Das Stück liegt damit insgesamt nicht besonders hoch.

höchster Ton in A

In D- und E-Moll muss man sich an dieser Stelle nochmals besonders anstrengen.
Dass man bis in den 8. bzw. 10. Bund muss ist an sich nicht das Problem, dies besteht in dem schnellen Lagenwechsel dorthin. In D-Moll habe ich die Erleichterung, dass auf der vierten Achtel ein leeres d im Bass kommt, in E-Moll heißt es einfach "treffen!".
Und dann muss man ja in D-Moll wieder zurück in einen Barré in der dritten Lage, während ich in E-Moll den Akkord auf der Taktmitte ausgedünnt habe, und hier eine leere d-Saite für den Bass da ist.

höchster Ton in D und E

In D-Moll könnte man die Stelle verändern, indem man zum F-Dur-Barré in die 8. Lage geht und dort dann f im Bass in der ersten Takthälfte lässt (wie in den A-Moll-Versionen). Dann muss man allerdings das tiefe C auf der 6. Saite im 10. Bund greifen, und der vorher vorhandene Quartsextvorhalt auf C wäre da oben extrem unbequem. Im Bild biete ich als Lösung statt dessen nur einen Vorhalt von der Sexte zur Quinte an, greife also das e auf der g-Saite schon mit dem Grundton. Man könnte auch in die 3. Lage springen und dort den gleichen Akkord wie im Notenbeispiel oben spielen.

In E-Moll bietet sich als Vereinfachung an, auf der 4. Achtel ein leeres g im Bass zu spielen. Der Lagenwechsel zum Spitzenton wird dadurch erleichtert.

Variante in D und E

Vergleich der Versionen

Mit den obigen Notenbeispielen möchte ich zeigen:

  • Man kann ein Stück für Orchester für eine kleine Gitarre so bearbeiten, dass es ein guter Schüler spielen kann, der seine Anfängerschule und die ersten Solostücke gut überstanden hat und sich zutraut, etwas im gleichen Schwierigkeitsgrad aber in der vierfachen Länge zu üben und dabei nicht die Lust zu verlieren.
  • Man kann eine Version erstellen, die komplexere Griffe enthält, aber im Prinzip keine wirklich neuen Probleme wie Lagenspiel oder Barrégriffe.
  • Man kann eine Fassung schreiben, die den Umfang der Gitarre mehr ausnutzt, sprich in die Lage geht, dabei natürlich Barrégriffe erfordert, und damit an Spieler gerichtet ist, die viel weiter auf dem Instrument sind. So eine Bearbeitung ist automatisch viel fordernder, man kann beim (Vor)Spielen glorios scheitern, aber sie macht mehr her und mehr Spaß.
  • Man könnte zu den höheren Fassungen eine zweite Gitarrenstimme schreiben, die für mehr Sound, Rhythmus, Entlastung bei schwierigen Griffen zuständig ist.
  • Man könnte eine einfache Version auch mittels Kapo eine Quarte oder Quinte transponieren, um dann eine zweite Gitarrenstimme dazu zu spielen.
  • Ob dieses Stück ein dankbare Aufgabe für eine Version für Ensemble, also zum Beispiel vier Gitarren wäre, bezweifele ich. Da das Stück sehr auf die Melodie zentriert angelegt ist und wenig polyphones Material enthält, müssten die drei unteren Stimmen Füllstimmen und Rhythmus liefern. Dazu müssen die Spieler sicher sein und vor allem motiviert.

Ich hoffe vor allem, dass es mir gelungen ist ein bisschen zu erklären, warum Gitarrenlehrer oft seufzen, wenn gitarristische Dreikäsehochs oder deren Eltern fragen "Warum können wir nicht mal 'He's a pirate' spielen?". Ich kann natürlich immer antworten "Ok, ich bestelle diese Ausgabe für X Euro (es sind noch andere Stücke oder die ganze Filmmusik drin), und wir spielen das!" und mich dann freuen, wenn ich hinterher sagen kann "Seht ihr, ich hatte doch Recht!".

Es geht nicht darum, Recht zu haben, sondern verantwortlichen Unterricht zu machen, der dem Lernstand der Schüler angepasst ist, und vielleicht langfristig das Ziel hat, die Piraten der Mikrobik toll spielen zu können, wenn man so weit ist.

Bearbeitung aus künstlerischer Sicht

Francisco Tárrega zum Beispiel hat viele Stücke bearbeitet, aber dabei nicht so auf "mögliche Kunden" Rücksicht genommen, sondern vermutlich so geschrieben, wie er selber spielen wollte und konnte. Bei ihm finden sich Sonatensätze von Beethoven, Charakterstücke von Schuman, Präludien oder Mazurken von Chopin oder Ausschnitte aus dem Tannhäuser von Wagner, und nichts davon ist einfach zu spielen.

Sehr schön ist seine Bearbeitung der Träumerei von Robert Schumann, bei der er das Stück von F-Dur nach D-Dur transponiert, und den Umfang von der auf D gestimmten 6. Saite bis zum g'' im 15. Bund der e-Saite ausnutzt. Der Satz enthält dabei viele dichte Akkorde in den obersten Lagen. Das Klavierstück aus den Kinderszenen Op. 15 ist zwar kein Anfängerstück mehr, aber doch nicht wirklich zum Fürchtenmachen, aber Tárregas Version hat es schon in sich.

Beethoven, Menuett

F. Tárrega transponiert nach E-Dur, und beim ihm sieht das Stück so aus:

Beethoven, Menuett, Bearbeitung: Tarrega

Schon die zweite Note wird auf der h-Saite im 5. Bund gegriffen, statt die leere e-Saite zu nehmen und erstmal in der 1. Lage zu bleiben. Nein, Tárrega geht es um Klang, er geht gleich in die 5. und dann die 6. Lage, auf der Drei des 3. Taktes erreicht man das a' nur mit einer Überstreckung. Typisch ist das leere e am Ende des dritten und zu Anfang des vierten Taktes, um die Finger in Ruhe umplatzieren zu können. Aber die Melodie wird munter weiter in der Lage auf h- und g-Saite gespielt, sodass man den dickeren Klang und die Möglichkeit des Vibrato zur Verfügung hat, das in den höheren Lagen besser funktioniert.

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, dass sich Bearbeitungen einerseits schon immer großer Beliebtheit erfreuten, dass aber andererseits mit den Publikationen durchaus auf einen kleineren Kreis von guten Amateuren und Liebhabern gezielt wurde. Man konnte in der Vergangenheit anscheinend darauf setzen, dass "Kunden" wussten, dass man erst Mal ein bestimmtes Niveau haben muss, bevor man den Stars mit Erfolg nacheifern kann. Das ist heute nicht immer so.