Voraussetzungen für den Gitarrenunterricht
  Vorbemerkung
  
    Diese Webseite ging 2007 online, und gerade die Texte auf dieser Seite stammen aus der ersten
    Zeit und spiegeln meine Gedanken über Unterrichtsprobleme wieder. Strukturelle Probleme unseres
    Bildungssystems haben sich bis 2024 nicht wirklich verbessert, und der Einfluss technischer
    Geräte auf das Leben von Kindern ist eher größer geworden, als in den gemütlichen Tagen von
    Windows 3.1. Bewegungsmangel, Haltungsschäden, Lesefähigkeit, Handschrift - viele Dinge werden
    fast täglich in den Medien bejammert.
  
  
    Diese Abschnitte reflektieren also meine Wahrnehmung, wie wir zum heutigen Zustand gekommen
    sind.
  
  
    Wenn man darüber nachdenkt, in welchem Alter Kinder mit dem Gitarrenunterricht sinnvoll beginnen
    können, ist die Frage: "Was bringt der Lernwillige mit, wie ist er vorbereitet?" Darauf möchte
    ich in diesem Abschnitt eingehen. Dabei geht es auch darum, wie Kinder heute aufwachsen.
    
"Was muss im Gitarrenunterricht bewältigt werden, welche Probleme stehen an?" Ist der
    zweite Fragenkomplex, um den es im Abschnitt "Einstiegsalter" gehen wird.
  
  Voraussetzungen
  
    Bei Schulkindern scheint es sinnvoll zu sein, wenn sie in der gleichen Klassenstufe sind und
    Lesefähigkeit und Konzentrationsvermögen ähnlich entwickelt sind. Erstklässler, die noch gar
    nicht lesen können sind Zweitklässlern sehr unterlegen. Wenn sie viel musikalische Begabung
    mitbringen, interessiert sind und die Gruppe und der Lehrer dies auffangen, kann es
    trotzdem gut laufen.
  
  
    Aber die Fähigkeiten, die man zum Beginn eines Instrumentalunterrichts braucht, Auffassungsgabe,
    motorische Koordination, die Fähigkeit, zu beobachten und zu imitieren, Merkfähigkeit, werden
    nicht erst in der Schule trainiert. Kinder kommen mit unterschiedlichen
    Vorraussetzungen zum Gitarrenunterricht, weil sie entweder viel oder wenig draußen
    gespielt, gemalt, gebastelt,
    gepuzzelt und vorgelesen bekommen haben, oder viel Zeit mit dem Smartphone, dem Laptop oder vor
    dem Fernseher verbracht haben.
  
  
    Nach meiner Meinung werden gute Startbedingungen nur im Glücksfall in der Ganztagsbetreuung
    geschaffen, sondern eher mit den Familienmitgliedern. Die Pisa-Ergebnisse und die
    Berichterstattung der Medien durch die Jahre über die Kompetenzen unserer Kinder lassen ahnen,
    dass möglichst viel verbrachte Zeit in schlecht ausgestatteten Schulen nicht gut sein könnte.
  
  Technisierung und Sprachlosigkeit
  
    Hat die Technisierung unseres Alltags Folgen? Erwachsene schauen auf ihr Handy oder
    telefonieren, wenn sie einen Kinderwagen schieben, statt mit ihrem Kind zu sprechen; jeder hat
    ständig Stöpsel im Ohr.
    Alle verbringen deutlich mehr Zeit vor Bildschirmen und mit individueller
    Musikberieselung und damit weniger mit der direkten Wahrnehmung der Umwelt.
  
  Kann Gitarrenunterricht therapeutisch wirken?
  
    In vielen Vorgesprächen zum Unterricht klingt an, dass der Nachwuchs eher zappelig ist,
    Konzentrationsschwierigkeiten hat und vielleicht sogar Ergotherapie eingesetzt wird. Also fragen
    sich Eltern "Wird Musikunterricht mein Kind ruhiger machen?"
  
  
    Dass Kinder unruhig sind, ist ja an sich nicht schlecht. Aufgeweckte Kinder sind eben keine
    Trantüten, sie sind beteiligt, sie fragen, sie melden sich zu Wort. Aber mit Glück können sie
    sich auch mal konzentrieren, zuhören, an einer Sache arbeiten.
  
  
    Warum wird mein Kind immer dann aufgedreht, wenn es um ruhige Beschäftigung geht?. Abgesehen von
    Vererbung, die immer "Schuld sein" kann, gibt es andere Faktoren. Zu wenig spielen und toben, zu
    viel passive Beschäftigung mit Medien, eventuell hoher Zuckerkonsum gelten als mögliche
    Ursachen. Der Montagvormittag ist der härteste Tag in Schulen, weil die Kinder am
    Wochenende zu viel "zocken" und fernsehen. Das sagen gestresste Lehrer nicht aus Weinerlichkeit,
    es stimmt einfach.
  
  
    In den Unterricht werden immer mehr Bewegungsphasen eingebaut, in Randstunden wird immer
    häufiger "Schulunterricht" durch Spielen ersetzt, in Betreuungsstunden wird, wenn es irgendwie
    geht, draußen gespielt und gelaufen, statt zusätzliche Förderung anzubieten. Der Grund dafür
    ist, dass die Kinder am Wochenende viel zu wenig Bewegung haben.
  
  Abgesehen davon dass ich älter und weniger geduldig wurde, waren meine Beobachtungen
  
    - 
      dass die Kinder schlechter zuhören können. Viele Kinder (nicht die berühmten Einzelkinder)
      halten es kaum aus, mal nicht im Mittelpunkt zu stehen.
    
- 
      Dass die Kinder wenig gruppenfähig sind: Man hört höchstens zu, wenn der Lehrer dies (laut)
      einfordert - wenn ein anderes Kind vorspielt, wendet man sich unbeteiligt ab, so wie die
      Erwachsenen es ständig vormachen: wenn gerade "nichts passiert" nimmt man das Smartphone und
      wischt und tippt. Es ist ja Pause! Dadurch lernen die Kinder nicht viel von einander.
    
- 
      Die Fähigkeit zu beobachten und etwas nachzuahmen hat eklatant abgenommen. Etwas zeigen,
      vormachen und zur Imitation auffordern reicht kaum mehr aus, ich muss zum Kind gehen, den
      Finger an die richtige Stelle schieben (und dann wird er sofort wieder weg genommen) - das
      Kind kann gesehene Bewegung nicht mehr in eigenes Körpergefühl und Handeln übersetzen.
    
    Diese Defizite haben sich in den letzten Jahren verstärkt, und die Tendenzen werden nicht so
    einfach umzukehren sein. Dazu müssen wir etwas tun - vor dem Gitarrenunterricht!
  
  Eltern als politische Macht
  
    Eltern sind eine gesellschaftspolitisch äußerst relevante Gruppe. Sie sind eine inhomegene
    Gruppe, deren politische Ansichten von links bis rechts reichen. Sie sind eine benachteiligte
    Gruppe: die Nicht-Eltern können sich besser selbst verwirklichen und haben mehr Geld zur
    Verfügung. 
Sie sind aber vor allem gesellschaftspolitisch wichtig: von ihnen wird die
    nächste Generation geprägt!
  
  
    Als Mediziner, Soziologen und Pädagogen in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg den Eltern
    einredeten "Wenn Ihr Kind schreit - lassen Sie es ruhig schreien. Füttern sie nicht nach
    Nachfrage, sondern nach Zeitplan. Seien Sie sachlich und relativ unbeteiligt bei der
    Versorgung." wurde eine Generation emotional unterkühlt und bereits im Babyalter diszipliniert
    aufgezogen, und zwar so gut wie von allen, von konservativ bis fortschrittlich. 
Als die
    Gegenbewegung einsetzte, verwöhnen, kuscheln und gewaltlose Erziehung en vogue waren, hatten
    alle Kleinkinder es in emotionaler Hinsicht hoffentlich besser.
  
  
    Bevor Schulen und andere staatliche oder religiöse Einrichtungen "Zugriff" auf die Kinder
    bekommen, hat die wesentliche Prägung schon stattgefunden, und auch danach hat
    die Gruppe der Eltern noch massiven Einfluss darauf, was für Menschlein heranwachsen.
  
  Gesellschaftspolitische Experimente
  
    Eigentlich finden so gesellschaftspolitische Experimente statt, ohne dass dies angekündigt oder
    ins Bewusstsein gehoben wird. Und die Menschen sind sich auch nicht bewusst, wer die Experimente
    steuert. Ist es das Bundesgesundheitsministerium, oder doch die Werbung, wegen der wir
    Pausensnacks und Softdrinks konsumieren? 
Die Ergebnisse des derzeitigen Experiments in
    Sachen Ernährung sind am Gewicht ganz gut zu erkennen. Ob zu viel Zucker ein Grund für mehr
    Unruhe bei Kindern ist, werden die einen bestätigen und andere abstreiten.
  
  
    Bewegungsmangel und Umgang mit Fernseher, Computer und Smartphone sind für mich das größte
    derzeit laufende "verdeckte Experiment". Existiert es überhaupt, also verändert es das
    Aufwachsen der kommenden Generation? Wie wirken sich diese Dinge aus?
  
  
    Jedenfalls sind wir Eltern die politisch relevante Gruppe, die hier Einfluss hat. Wir lesen
    unserem Kind vor, oder es bekommt ein Smartphone mit einem Spiel in die Hand, damit es Ruhe
    gibt. Das sind - vereinfacht - die Alternativen.
  
  
    Was diese Veränderung beim Aufwachsen von Kindern bewirkt, darüber wird es dann später einen
    wissenschaftlichen Diskurs geben. Im Moment reagieren alle nur: Inklusion ist
    das Allheilmittel, Sozialpädagogen werden in Schulen eingestellt, um der Probleme Herr zu
    werden, mehr und mehr Betreuung wird organisiert, Leute wie ich jammern unausgesetzt. 
Die
    Kinder selbst können kaum aus den neuen Verhaltensweisen ausbrechen, sie werden darüber erst als
    Erwachsene reflektieren können und dann als neue Angehörige der Gruppe "Eltern" politisch
    handeln, ohne überhaupt zu merken, dass dies Politik ist.
  
  
    Der derzeitige Diskurs in den Medien über den Umgang mit Computertechnologie läuft immer wieder
    darauf hinaus, dass Schulen die Kinder dafür fit machen sollen. Es wird wenig darüber geredet,
    wie viel Zeit die Geräte Menschen stehlen, die sie früher für spielen, Bewegung und Interaktion
    hatten, und ob die Eltern hier eingreifen müssen. 
Dazu müssten sie reglementieren, Verbote
    aussprechen, Zeitrahmen setzen. Telefonierend Fahrrad fahren ist nicht erlaubt, aber - welche
    Mutter, die selber im Auto das Handy benutzt, kann ihren Kindern da glaubwürdig Vorschriften
    machen?
  
  
    Können wir denn überhaupt noch zurück? Natürlich wird das Internet nicht wie eine Grippe
    vorbeigehen, es ist ja auch nützlich, aber jeder Mensch muss lernen, dass
    leben vielleicht auch noch außerhalb der social media stattfinden könnte. Wie
    soll ein Kind Zeit fürs Üben finden, wenn es nicht mehr weiß, dass Dinge wichtig oder unwichtig
    sind, und dass man - je nachdem, wie man sich entscheidet - ein unterschiedlicher Mensch ist und
    wird? Dass das wirkliche "liken" darin besteht, etwas zu tun, was man mag, und dass man dadurch
    eine komplettere statt eine ewig nur kommentierende Person wird?
  
  
    Falls Sie dies gerade lesen und kleine Kinder haben, fragen Sie sich nicht, ob man die
    Entwicklungen umkehren kann! Fragen Sie sich lieber, wie lange und auf wessen Rat Sie noch
    warten wollen! Die Zeit für Ihr Kind ist jetzt!
  
  Einstiegsalter für den Gitarrenunterricht
  
    Nachdem der geneigte Leser den klagenden Ton des vorigen Textes über Voraussetzungen und Politik
    überstanden hat, soll es hier um das Einstiegsalter in Relation zu Inhalten des
    Gitarrenunterrichts gehen. Die Frage "Gitarrenunterricht - ab welchem Alter?" lässt sich nicht
    pauschal beantworten, aber ich möchte versuchen, Aspekte zu beschreiben, an Hand derer man sich
    fragen kann "Wie sieht es in dieser Beziehung bei uns aus?"
  
  Beginn mit Einzelunterricht
  
    Der beste Zeitpunkt, mit dem Gitarrenunterricht zu beginnen ist relativ: im Einzelunterricht
    kann man sicher sehr früh anfangen. Noten kann man mit fünf Jahren lernen, auswendig lernen
    Kinder in dem Alter sehr gut, wenn man also eine wirklich ausreichend kleine Gitarre nimmt, kann
    es losgehen.
  
  
    So früh werden die Fortschritte aber langsam kommen, und man wird beobachten, dass begabte
    Kinder, die später anfangen, den "Frühstarter" locker einholen. Das ist aber ja egal: was man
    früh lernt, lernt man besonders gründlich, und Zeit mit Musik ist nie verlorene Zeit.
  
  Einstieg im Gruppenunterricht
  
    Gibt es ein ideales Anfangsalter oder ein Mindestalter für den Beginn im Gruppenunterricht?
    Viele Eltern kommen sehr früh auf die Idee, ihr Kind ein Instrument ausprobieren zu lassen. Wenn
    die Kinder eine musikalische Früherziehung besucht haben, halten Eltern es oft für sinnvoll,
    dass sich der Instrumentalunterricht direkt daran anschließt. Je jünger ein Mensch ist, desto
    wahrscheinlicher ist es aber, dass der Unterrichtsanfang schwierig wird. Das hängt natürlich von
    der Vorbildung ab, und wenn der
    Unterricht in einer Gruppe startet, sollten die Mitglieder möglichst ähnlich alt sein.
  
  Die ideale Unterrichtsform
  Wenn man die ideale Unterrichtsform träumen dürfte wäre es sicherlich
  
    - 
      Einzelunterricht, eventuell mit punktueller Zusammenarbeit mit anderen Schülern zum
      Ensemblespiel,
    
- 
      die Unterrichtsdauer wäre völlig frei, das heißt wenn der Schüler etwas gekonnt spielen kann,
      spielt er es vor und bekommt sein Feedback,
    
- 
      Unterricht wäre also nach Bedarf mehrmals in der Woche, das Dilemma, eine Woche warten zu
      müssen, ob man richtig oder falsch geübt hat wäre aus der Welt.
    
    Das klingt sehr nach "Unterricht bei Mama oder Papa", denn solche Flexibilität bieten
    Musikschulen kaum an. Unterricht bei einem Elternteil ist aber in der Regel keine gute Idee!
    
Aber es lohnt sich immer, bei einer Musikschule anzufragen, ob Unterricht zweimal in der
    Woche erteilt werden kann!
  
  
    Im Folgenden ein Versuch, möglichst viele Aspekte des Gitarrenunterrichts zu
    beleuchten:
  
  Haltung
  
    Die Haltung des Instruments ist anfangs ein
    sehr wichtiger Unterrichtsinhalt. Wie gut man spielen lernt, hängt wesentlich davon ab, wie
    geschickt man sich in dieser Hinsicht anstellt.
  
  
    Die Gitarre steht nicht von alleine wie ein Klavier. Gutes
    Körpergefühl und die Fähigkeit, still zu sitzen sind extrem
    hilfreich. Pausen helfen gegen Zappeligkeit, aber wer mehrmals in der Unterrichtsstunde die
    Fußbank umkippt oder gar vom Stuhl rutscht, könnte vielleicht noch ein Jahr warten.
  
  
    Denken Sie einmal kurz darüber nach, was alles unternommen wird, um das Schreiben lernen zu
    erleichtern: es gibt höhenverstellbare Schultische, die man außerdem kippen kann, mit Mulden für
    Stifte und Rändern, die das Heft stabilisieren helfen, höhenverstellbare Stühle mit und ohne
    Rollen, kippbaren Sitzflächen, "Wackelkissen", Sitzbälle, die das Sitzen an sich angenehmer
    machen sollen, Füller mit besonderen Griffmulden für die Finger, und alles nur, damit jemand
    einen Stift über Papier führen lernt...
  
  
    Eine Gitarre wird schräg auf einem Bein balanciert, das durch eine Fußbank höher platziert wird,
    man muss die zwei Hände optimal an ihre "Arbeitsplätze" bringen und ziemlich verschiedene Dinge
    mit ihnen tun, wobei man nicht wirklich sehen kann, was man tut - das ist wesentlich komplexer
    als ein Stift auf Papier!
  
  Im Stehen spielen
  
    Tatsächlich denke ich immer wieder darüber nach, mit Anfängern im
    Stehen zu spielen, und tue es dann
    doch nicht, weil ich mich vor den Nachteilen fürchte. In kleinen Gruppen oder im
    Einzelunterricht könnte es funktionieren, aber man weiß vorher nicht, wie die Gruppe insgesamt
    sein wird. Blockflöte unterrichte ich viel lieber im Stehen, bis dann Gruppen mit überwiegend
    unruhigen Kindern kommen, die ständig mit ihren Flöten gegen den Notenständer stoßen, sich
    gegenseitig schubsen, und trotz vorhandenem Bewegungsdrang nach kurzer Zeit jammern "Ich kann
    nicht mehr stehen".
  
  Vorteile beim Stehen wären:
  
    - Einige Aspekte der Haltung wären leichter zu regeln:
- man kann nicht zu weit hinten auf dem Stuhl sitzen,
- die Höhe der Gitarre vor dem Körper wäre leichter festgelegt,
- der Abstand zum Notenständer ist leichter wählbar.
- Man kann sich etwas zur Musik bewegen, Takt wird erfahrbar.
- Man kann mit Gurt bei Ermüdung auch in korrekter Haltung im Sitzen spielen.
Mögliche Nachteile:
  
    - Großer Aufwand zur Vorbereitung - Gurtpins und Gurte anschaffen und anbringen.
- Man kann sich zu viel Bewegen - Zusammenstöße mit den Nachbarn sind vorprogrammiert.
- 
      Statt mit Fußbank oder Stuhl umzukippen kann man wunderbar mit der Gitarre Notenständer,
      Tische oder Kollegen stoßen.
    
- 
      Genau wie Kinder Fußbänke gerne auf die extremste Stufe stellen, kann man Gurte verstellen.
    
- 
      Beim Wechsel vom Stehen zum Sitzen und zurück muss man jedesmal die Notenständer neu
      einstellen - das kostet Zeit und Nerven.
    
- Die Identifikation mit der "klassischen Haltung" ist erschwert.
    Würde man in Kooperation mit den Eltern Gurtpins anbringen und Gurte anschaffen, müsste man von
    vornherein klarmachen, dass bei Scheitern des Experiments diese Ausgabe eben leider umsonst war.
  
  Koordination
  
    Selbstverständlich ist eine gut entwickelte
    Feinmotorik wichtig. Auch wenn es sehr modern ist, seinen Kindern im frühesten
    Alter alle kulturellen und sportlichen Angebote zu unterbreiten, sollte man gerade wegen dieses
    Aspektes Vorsicht walten lassen: wer sich in der ersten Klasse nicht wirklich geschickt mit
    Stift oder Schere anstellt, bei Bastelarbeiten eher grobe Ergebnisse abliefert, schnuppert
    vielleicht ins Gitarrespielen hinein, um festzustellen, dass das viel zu schwierig ist (ganz im
    Vertrauen: so einfach ist es wirklich nicht...), und dann war's das. Schade, wenn ein, zwei
    Jahre später das Ergebnis ein anderes gewesen wäre.
  
  
    Die
    Koordination der Hände miteinander und mit dem Gehirn ist ein weiterer Punkt:
    ich muss nicht nur auf der richtigen Saite greifen, sondern diese auch noch anschlagen, und wenn
    ich die Nachbarsaite erwische, muss das Gehirn dies bemerken und korrigieren. Natürlich werden
    durch das Tun die Vernetzungen in der Denkzentrale hergestellt, früher Instrumentalunterricht
    ist eine tolle Förderung der Intelligenz; man sollte aber im Kopf behalten: je früher man
    anfängt, desto mehr Probleme und Frustrationen kann es geben.
  
  Griffbrett und Noten
  
    Die Töne auf dem Gitarrengriffbrett sind
    nicht so übersichtlich angeordnet wie auf einem Tasteninstrument, und den
    Vorteil der einmal gelernten Grifftabelle wie bei Blasinstrumenten hat man auch nicht, weil man
    immer wieder andere Finger nimmt, um die Töne in unterschiedlichsten
    Kombinationen zu greifen.
    Hierfür sind gutes räumliches Vorstellungsvermögen, Merkfähigkeit und überhaupt
    Intelligenz nicht schlecht. Wenn ein Kind Schachspielen begreift, also eine
    Vorstellung entwickeln kann, welche Felder der Springer bedroht, oder die Diagonalen der Läufer
    beachtet, sind ähnliche Fähigkeiten im Einsatz. Der Gitarren - Lehrling lernt die Verbindung
    zwischen Zeichen (Note) und Aktion (was muss ich greifen und anschlagen) und die korrekte
    Bezeichnung (Notenname) auswendig, denn die grundlegenden Eigenschaften unserer
    Musik - Ganz- und Halbtonschritte, Intervalle, die letztlich klären, welcher Ton in welchem Bund
    ist - sind bei sehr jungen Schülern schwer zu vermitteln.
  
  
    Noten sind eine grafische Benutzeroberfläche - je höher die Note im System,
    desto höher der Ton - die problemlos mit Vorschulkindern zu lernen ist. Bedingung: die
    Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit unserer Zeichen - Bedeutung - Welt ist gegeben.
    Irgendwann sind Kinder fasziniert von der Tatsache, dass man mit kleinen schwarzen Krakeln auf
    Papier und Bildschirmen Informationen transportieren kann und wollen lesen und
    verstehen und mitmachen.
  
  
    Mit dem Schulbeginn lernen Kinder außerdem eine noch etwas andere
    Einordnung in Gruppen als im Kindergarten, trotz aller Relativierung des
    Frontalunterrichts: man hat einen Lerngegenstand, und den versuchen alle zu packen, und dafür
    ist man auch mal still und hört einem anderen zu - manchmal sogar dem Lehrer.
    Wenn dieses Verhalten eingeübt ist und das Interesse an unserer Schriftkultur geweckt, ist der
    Start mit einem Musikinstrument einfacher.
  
  Arbeit und Entspannung
  
    Mit dem Schuleinstieg wird eine weitere
    Kulturtechnik eingeführt, der
    zentrale Bedeutung beim Erlernen eines Musikinstrumentes zukommt:
    Hausaufgaben machen und üben. Üben, fleißig sein, etwas wiederholen, etwas
    wieder und wieder tun um sich darin zu verbessern - das sind Dinge, die in unseren Breiten
    gerade in Vergessenheit zu geraten drohen oder gar einen negatives Image haben. Es scheint
    selbstverständlich, das auch jüngere Kinder im Abendprogramm Actionfilme, Comedyshows und bis
    nach 23 Uhr "Wetten, dass" gucken, aber fünf Minuten täglich Gitarre üben? Muss
    das denn wirklich sein? Welchen Schlag "Schlag den Raab" dem Biorhythmus versetzt ist
    nebensächlich, aber - sonntags das Instrument anfassen? Undenkbar! Da muss man sich entspannen!
  
  
    Ein gesundes Verhältnis zu regelmäßigen Übeprozessen geht in unserer Welt völlig verloren.
    Außerdem hat sich der unversöhnliche Gegensatz zwischen
    Freizeit und Arbeitswelt absolut fest in den Hirnen verankert. Freitags nach
    Schulschluss ist Schicht, danach werden bis Montag früh bestenfalls Hausaufgaben gemacht, nichts
    Sinnvolles zu tun ist Pflicht. Die sich
    in den Nachmittag ausdehnende Schule tut ein übriges: hohe Leistungen im Sport
    oder mit einem Musikinstrument sind nur noch bei Halbverrückten zu beobachten, erfolgreiche
    Teilnehmer bei "Jugend musiziert" sind Aliens.
  
  Benehmen und Gruppenfähigkeit
  
    Nicht wirklich altersabhängig, aber doch ein Thema, das einem spontan zu Schulkindern einfällt
    und auch ein Faktor beim frühen Instrumentalunterricht sein kann: Erziehung,
    angemessenes Benehmen. Eine gewisse Artigkeit, Respekt vor
    anderen, vielleicht sogar Lehrern und auch Sachen gegenüber (Behandlung des Instrumentes) zu
    nennen mag bieder erscheinen, aber die sprachliche Verrohung und die auch physische
    Distanzlosigkeit von mehr und mehr Kindern macht diese nicht sympathischer. Schon deshalb
    sollten sich Eltern trauen, zu erziehen!
  
  
    Wenn der Lehrer sich nicht anders zu helfen weiß, als ein Kind zum Beruhigen vor die Tür zu
    schicken oder gar bei den Betreuungskräften der verlässlichen Grundschule abzugeben, damit der
    Unterricht weiter gehen und er sich auch den anderen Gruppenmitglieder widmen kann, dann muss
    irgendwo etwas schief gelaufen sein. Bei aller fröhlichen Diskussion über Schule, Lehrer, den
    Segen des Ganztagsunterrichtes und so weiter: der Mörtel für den schiefen Pisaturm wird in den
    Familien angerührt. Zu erwarten, dass die
    Grundlagen für freundliches zwischenmenschliches Verhalten von Menschen gelegt
    wird, die eigentlich damit befasst sind, Mathematik oder Grammatik zu lehren, ist vielleicht
    nicht der richtige Ansatz.
  
  Motivation, Interesse
  
    Dass die
    eigene Motivation, Gitarre spielen zu lernen ein absolut entscheidender Faktor
    ist, und nicht das Denken der Eltern "Das würde meinem Kind bestimmt gut tun" oder "Früher hätte
    ich das selber gerne gelernt, aber das ging nicht - jetzt soll mein Kind die Chance bekommen"
    sollte völlig klar sein.
  
  
    Das
    Interesse der Eltern am Lernprozess des Kindes ist aber um so wichtiger, je
    jünger die Kinder sind. Nein, die
    Eltern müssen nicht Gitarre spielen
    oder Noten lesen können oder lernen. Andererseits stehen in der Gitarrenschule
    Grafiken, die erklären "wenn du
    diese Note siehst, musst du genau diese Saite in exakt dem Bund herunterdrücken". Vergleichbare
    Grafiken zu verstehen ist für Erwachsene Alltag. Die Aufbauanleitung der Ikea - Kommode
    funktioniert ganz ähnlich, und beim Lego - Technik - Raumgleiter setzt man auch Grafiken in
    Handlungen um.
  
  
    Vor allem können Eltern ihrem Nachwuchs vermitteln: wenn du etwas nicht weißt, kannst du im Buch
    nachschauen, da ist es erklärt. Die Kulturtechnik
    "Verwendung eines Lexikons", in der Grundschule mit dem "Schülerduden"
    eingeführt,
    unser ganzes Leben in Form von Vokabellisten, Gebrauchsanweisungen, Landkarten durchziehend -
    bei ihrer Vermittlung der Sicherheit "Wenn du etwas nicht weißt, gibt es immer eine Stelle, wo
    man Informationen finden kann" können Eltern entscheidend mithelfen. Und dazu, zum Geben von
    Sicherheit und zum freundlichen Begleiten haben Kinder schließlich Eltern.
  
  
    Alle genannten Dinge, Koordination, Feinmotorik, Intelligenz, Lesewillen, Gruppenfähigkeit,
    Fleiß und angemessenes Verhalten greifen in einander und überschneiden sich. Alle beeinflussen
    sich gegenseitig, und können relativiert werden durch einen weiteren zentralen Faktor:
    Willen.
  
  Willen
  
    Wer etwas wirklich will, schafft auch etwas. Das
    Herunterdrücken der Saiten fällt kleinen Kindern anfangs doch ganz schön schwer
    - Kinder mit Biss machen das spielend. Willen, Hartnäckigkeit, sich etwas beweisen wollen,
    ehrgeizig sein, das sind Tugenden, die einen voran bringen, die Zappeligkeit ausgleichen können,
    die einen frühen Unterrichtsbeginn erfolgreich machen können. Bitte nicht verwechseln mit
    Wünschen und Hoffen der Eltern - das muss aus den Kindern selbst kommen.
  
  
    Absichtlich nicht erwähnt habe ich bisher die
    Musikalität, weil ich diesen Abschnitt so schreiben wollte, dass er auch
    Gültigkeit für andere Bereiche haben könnte. Wer etwas lernen möchte, das nützlich ist, oder
    vielleicht zum Menschsein dazugehört (Nein, nicht jeder muss ein Instrument spielen können!)
    ohne dass es produktiv ist oder vermarktet werden kann, braucht gewisse Grundbedingungen. Für
    Musiker hilft natürlich Musikalität...
  
  Jungen und Mädchen
  
    Ja,
    Mädchen und Jungen sind unterschiedlich. Da Jungen, auch kleine, enorm damit
    befasst sind, "richtige Kerle" zu sein und zu werden und deshalb frech sein müssen,
    keinesfalls als Streber gelten dürfen und in diesem "Lernfeld" einem starken Gruppendruck
    unterliegen, verpassen sie oft sehr viel oder lernen Dinge unbemerkt und trotz allem.
    
Allerdings machen Jungs in der Pubertät häufig einen gewaltigen Sprung. Plötzlich wird
    Können in einem Bereich als Identifikationsmöglichkeit entdeckt, oder die Gitarre wird zum
    Ventil für Frustrationen aller Art, und die Jungs machen Fortschritte, die vor ein paar Jahren
    undenkbar schienen, während die Mädchen, eher brav und angepasst, kontinuierlich weiter
    arbeiten, aber die Aufgaben mit weniger (positiver) Aggressivität angehen. 
Diese Rolle
    eines Ventils wird aber zunehmend von Computer- und Konsolenspielen und dem Smartphone
    übernommen.
  
  
    Während die Jungen das eine Lernprogramm durchlaufen, haben Mädchen irgendwann die Phase, in der
    sie unheimlich mit schön sein befasst sind. Dann sind sie praktisch nicht davon zu
    überzeugen, dass man mit langen Fingernägeln an der Greifhand einfach nicht sauber greifen kann
    und fallen zurück. Dass gekonntes Gitarrenspiel auch sehr viel an Schönheit, Stimmigkeit und
    Persönlichkeit ausdrücken kann, ist in diesem Alter kaum zu vermitteln.
  
  Altersunterschiede, Geschwisterdrama
  
    Altersunterschiede in Gruppen müssen nicht, können aber ein Problem sein.
    Natürlich können jüngere Kinder mit schneller Auffassungsgabe mit älteren mithalten, und wenn
    man es schafft, in einer Unterrichtsgruppe ein tolerantes Klima herzustellen kann alles
    wunderbar funktionieren. Problematische Sprünge liegen zwischen Kindergarten- und Lesealter oder
    dritter / vierter Klasse und Jahrgang 5 und 6. Je mehr die Kinder mit der Sache Musik befasst
    sind, desto besser.
  
  
    Geschwister in einer Gruppe zu unterrichten ist mir persönlich noch nie mit
    großem Erfolg gelungen. Obwohl ich selber ein Sandwich - Kind und Vater zweier Kinder bin,
    Geschwisterrivalität also aus vielen Perspektiven kenne, kann ich es schlicht nicht empfehlen,
    und würde immer dazu raten, die Kinder verschiedene Instrumente probieren zu lassen oder in
    unterschiedlichen Gruppen unterzubringen. Wenn die ältere Schwester auch im Gitarrenunterricht
    schneller voran kommt, hat das jüngere Kind "denselben alten Blues", der den Alltag zu Hause
    prägt. Wenn das jüngere Kind das ältere überholt ist die Lage noch ernster. Wenn Zwillinge sich
    gut verstehen scheint es aber funktionieren zu können.
  
  Vertrauen in den Lehrer
  
    Jeder Lehrer möchte guten, erfolgreichen Unterricht machen. Das hat viel mit
    Langsamkeit und Gründlichkeit zu tun - man will erreichen, dass der Schüler
    wirklich Gitarre spielen lernt. Das bedeutet, dass das Können auf dem Instrument in
    kleinen, sinnvollen Schritten so entwickelt wird, damit man nicht irgendwann vor einer Wand
    steht, die man nicht mehr überwinden kann.
  
  
    Häufig berichten Kinder von Freunden, die bei einem anderen Lehrer Unterricht haben, und schon
    "Smoke on the water" spielen können. Ok, sage ich mir, das Kind ist viel begabter, fleißiger,
    der Lehrer macht besseren Unterricht, was mache ich falsch? 
Dann kommt es irgendwann zu
    einem Unterrichtsbesuch, und es stellt sich heraus, dass der Freund zwar die berühmte Tonfolge
    spielen kann, sonst aber noch nicht über die ersten fünf Töne hinaus ist und nicht mal die
    sicher unterscheiden kann (Selbstverständlich gibt es auch den Fall, dass der Freund wirklich
    viel weiter ist!).
  
  
    Vertrauen in den Lehrer, der dann hoffentlich auch etwas taugt, heißt also: die
    Unterrichtsschritte mitgehen, die er vorschlägt, das Können kontinuierlich aufbauen, warten
    können, bis man soweit ist, schwierigere Dinge anpacken zu können.
  
  
    Komplizierte Rhythmen lernt man, wenn man die einfachen beherrscht, Barrégriffe, wenn man A-Dur
    und D-Dur wechseln kann, "Nothing else matters", wenn man die Angst vor höheren Lagen
    wegtrainiert hat. Genies dürfen natürlich sofort mit dem Schwierigsten beginnen - wenn
    sie technisch alles richtig machen, ist das in Ordnung. Ansonsten ist und bleibt Bescheidenheit
    eine Zier und ein guter Berater!
  
  "Zu spät" ist es nie!
  
    Grundsätzlich ist nach meiner Erfahrung ein
    guter Zeitpunkt für den Beginn die zweite Klasse. Die Kinder wissen, wo der
    Lehrer steht, lernen oder können lesen und haben gelernt, sich in einer Gruppe angemessen zu
    verhalten.
  
  
    Kann man auch
    zu spät mit dem Lernen eines Instrumentes beginnen? Nein. Ältere Kinder und
    Jugendliche haben bei der Gitarre weniger Probleme mit der nötigen Kraft, dem Verstehen der
    Zusammenhänge zwischen Noten und Griffbrett, sind vielleicht selbst wirklich motiviert und haben
    klare Ziele. 
Ältere Menschen, die ihre Finger nie zu so merkwürdigen Dingen wie
    Gitarrespielen eingesetzt haben, werden über die Schwierigkeiten bei den vertrackten Bewegungen
    staunen, beobachten, dass es für das Gehirn gar nicht so einfach ist, dem Ringfinger einen
    präzisen Befehl zu geben, während die anderen Finger brav stehen bleiben, aber - man tut ja
    schließlich etwas für sich und muss niemandem sonst etwas beweisen! Solange man weiß, was das
    Ziel ist, kann man die Frage "zu spät?" nur mit "nein" beantworten.
  
  Gruppenunterricht
  
    Die Gitarre gehört mittlerweile zu den klassischen Gruppenunterricht - Instrumenten an
    Musikschulen. Sie hat einige Eigenschaften, die sie dafür prädestinieren. Welche Vorteile hat
    Gruppenunterricht, was muss man beachten, damit er erfolgreich läuft?
  
  
    Hier steht etwas über Einzelunterricht,
    und hier sind meine Regeln für Gitarrengruppen.
  
  
    Die
    Gründe dafür, dass die Gitarre ein häufiges Gruppeninstrument ist, liegen auf
    der Hand: Gitarren sind vergleichsweise günstig, gut zu transportieren, brauchen zwar mehr Platz
    als Blockflöten, aber deutlich weniger als Klaviere oder Drumsets, sind nicht so laut, und geben
    erträgliche Töne von sich, wenn sie gut gestimmt sind.
  
  
    Dass Gitarren für wenig Geld zu erwerben sind, man dabei aber gewisse Grenzen nicht
    unterschreiten sollte, habe ich an anderer Stelle breit
    diskutiert. Wenn man zu billige und damit
    schlechte Gitarren nimmt, ist die Sache mit der Stimmbarkeit ein ewiges Problem, und schräge
    Töne wirken sich auf die Motivation aus. Trotzdem muss der Geigenlehrer bei einer Vierergruppe
    wahrscheinlich mehr Dissonanzen ertragen als ich in gleicher Situation.
  
  
    Leicht zu transportieren (im Vergleich zu Schlagzeug und Klavier) sind Gitarren allemal, wenn
    auch das Auspacken, Aufbauen von Stuhl, Fußbank, Notenständer und Noten sowie das Stimmen
    einiges an Zeit brauchen (je selbstständiger die Schüler, desto flotter geht es), und für
    größere Gruppen braucht man auch ganz schön Platz - die Arbeit in Schulräumen ist ein
    ordentliches Training für den Lehrer mit Tische schieben und Stühle tragen!
  
  Dynamik am Anfang
  
    Ein großer
    Vorteil des Beginns in einer Gruppe: auch wenn es am Anfang mal etwas rumpelt,
    weil die Mitglieder unterschiedlich viel Interesse haben - es ist die beste Chance, Partner zu
    finden, mit denen man längere Zeit zusammen arbeiten kann!
  
  
    Andererseits sollte man nicht vergessen und bedenken: es ist sehr wahrscheinlich, dass in einer
    großen Gruppe sowohl begabte Kinder, als auch Kinder angemeldet werden, deren Eltern einen
    quasi therapeutischen Nutzen erhoffen. Es heißt ja, ein Instrument zu lernen
    bringe einen in Sachen Koordination, Konzentration oder gar überhaupt Intelligenz weiter. Das
    ist hoffentlich zum großen Teil richtig, aber wenn ein Kind z.B. Koordinationsprobleme hat,
    sollte man das vorher thematisieren und eventuell Absprachen treffen. Niemand ist gerne längere
    Zeit in der Situation, mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die für andere normale Herausforderungen
    sind. Weder der Lehrer noch die anderen Kinder und Eltern rechnen damit, eine Art Ergänzung zur
    Ergotherapie zu machen, das sollte allen Beteiligten klar sein. Ein Musikinstrument zu erlernen
    ist nicht unbedingt einfacher, als sich Lesen, Schreiben und die
    Grundrechenarten anzueignen. 
Unzufriedenheit kann man vorbeugen, indem der Unterricht als
    "Schnupperangebot" startet, bei dem nach einer Testphase überlegt wird, ob
    Instrument und Gruppe so passen.
  
  Vorteile beim Lernen
  
    Viele Dinge lassen sich sehr gut in einer Gruppe erlernen. Die
    grundlegenden Lernfelder am
    Beginn des Gitarrenunterrichts - wo
    finde ich die Töne auf der Gitarre, wie schlage ich richtig an, mit welchem Finger muss ich
    greifen, wie sieht die zugehörige Note aus, wie heißt der Ton, wie lang sind Viertel und Achtel
    - kann man mit aufmerksamen Kindern gut gemeinsam erarbeiten. 
Kinder, die anfangs nicht so
    sicher sind, "schwimmen in der Gruppe mit" und profitieren vom gemeinsamen Musizieren. Dadurch
    kann das Gefühl für Rhythmus vielleicht entspannter aufgebaut werden als im Einzelunterricht, wo
    der Lehrer eher dazu neigt, das Ganze zu "verintellektualisieren". Das Kind wird früher
    aufgefordert sich zu äußern - wie zählt man da, klopfe mal mit dem Fuß den Taktschlag - wo es in
    der Gruppe mehr Chancen bekommt, durch Beobachtung und Nachahmung zu lernen.
    Durch dosiertes "in-Ruhe-lassen" von leicht gestressten Kindern kann man diese vorsichtig in
    eine Situation hineinwachsen lassen, vor der sie sonst zu viel Angst gehabt hätten.
  
  
    Um Erfolg mit dieser Unterrichtsform zu haben, müssen die Schüler
    aufmerksam sein und beobachten. Viele Kinder passen aber nur noch auf, wenn sie
    direkt angesprochen werden; sobald die Gruppe als Ganzes gefordert ist, oder eine Frage an ein
    anderes Kind gerichtet wird, schalten sie vollkommen ab und sind, wenn man nachfragt, was sie
    gerade gehört oder beobachtet haben, nicht in der Lage sich zu äußern. Zu dieser Problematik
    steht einiges im Absatz über das
    Einstiegsalter.
  
  Rolle der Eltern
  
    Nicht nur die Kinder sind für den Erfolg des Gruppenunterrichts wichtig, sondern in besonderem
    Maße die
    Eltern. Sie sind dafür verantwortlich, bei versäumtem Unterricht
    nach den Hausaufgaben zu fragen. Die Sitte, mitzuteilen, dass und warum ein
    Kind nicht kommen konnte ist inzwischen akut vom Aussterben bedroht. Inzwischen - mehrere Jahre
    nach Verfassen dieses Artikels - ist die Hauptfrage, ob Eltern die per Mail oder Messenger
    übermittelte Hausaufgabe an ihr Kind weitergeben.
  
  
    Fehlen in einer Gruppe die Mitglieder über Wochen umschichtig, ist ein Weiterkommen sehr
    erschwert, wenn niemand bereit ist etwas nachzuarbeiten. Das macht dann den Unterricht schnell
    langweilig, besonders natürlich für die begabteren Kinder. Diese
    Mitverantwortung jedes Einzelnen für das Gruppentempo ist ein ganz
    entscheidender Faktor. Musikunterricht ist ein Hobby, und man sollte seine Freizeitvergnügen
    nicht mit der Schule vermengen, aber ein bisschen Einsatz ist trotzdem nicht schädlich, denn
    Gruppenunterricht ist nun mal ein "Mannschaftssport".
  
  
    Selbstverständlich sollte sein, dass man sich in der Gruppe
    verträgt. Niemand muss niemanden heiraten, aber Rivalitäten und Ablehnung, weil
    jemand aus dem anderen Ortsteil kommt, eine Schulklasse tiefer besucht, beim Fußball ruppt oder
    dergleichen haben im Musikunterricht für mich nichts zu suchen.
  
  
    Wenn alles gut funktioniert, kann man mit Gruppen viel erreichen und viel Spaß haben (und mit
    Spaß erreicht man mehr!). Gesunder Ehrgeiz und Hilfsbereitschaft und gegenseitiges Unterstützen
    bringen gute Lernfortschritte und gute Ergebnisse bei Vorspielen.
  
  Dynamik am Schluss
  
    Dann muss man aber auch merken, wann die Geschichte vorbei ist. Wenn ein Kind
    besonders begabt ist und schneller vorankommen könnte als die Gruppenkollegen,
    muss der Lehrer die Eltern alarmieren, und die Eltern ihrerseits den Lehrer anrufen, wenn sie
    beginnende Unlust wegen Unterforderung bemerken. Dann ist Unterricht in
    kleineren Gruppen oder Einzelunterricht angezeigt, und die Diskussion über die Kosten des
    Musikunterrichts - siehe unten - kann beginnen. 
Und man braucht natürlich - je älter und
    fortgeschrittener die Schüler sind - mehr Zeit für den Einzelnen, für die Hausaufgabe, für das
    Erarbeiten des neuen Stückes, für die Kreativität beim Austüfteln des besten Fingersatzes.
    Irgendwann ist die Form des Gruppenunterrichts nicht mehr die beste.
  
  Die Geldfrage
  
    Obwohl ich überzeugt davon bin, dass Gruppenunterricht in bestimmten Situationen eine sehr gute
    Unterrichtsform ist, hängt seine Verbreitung natürlich daran, dass er
    preisgünstiger zu machen ist. Wobei folgende Fragen kritisch zu beleuchten
    wären:
  
  
    - 
      Kostet Musikunterricht heute im Verhältnis mehr Geld als etwa in den Siebzigern (in denen
      viele Musikschulen entstanden)?
    
- Haben die Leute heute wirklich weniger Geld?
- Haben sie mehr Kinder, also weniger Geld pro Kind zur Verfügung?
- Geben wir alle mehr Geld für andere Dinge aus?
- Gehen vielleicht mehr Kinder als früher zum Gitarrenunterricht?
    Dass Instrumentalunterricht in den letzten Jahrzehnten unmäßig teurer wurde als Zigaretten, Kino
    oder die Dienstleistung an der KFZ- Zulassungsstelle bezweifle ich. Allerdings müssen
    Musikschulen mit öffentlicher Förderung, bei der die Angestellten von Kommunen oder Landkreisen
    bezahlt werden, zum Teil mehr Geld für Personalkosten aufwenden. Die Lehrer werden schon mal
    älter und verheirateter und bekommen Kinder. Dadurch steigen die Bezüge; erst wenn jemand in
    Rente geht und dafür eine neue Lehrkraft eingestellt wird, die jung, ledig und kinderlos ist,
    beginnt dieser Zyklus von vorne. Wenn ich mein Auto anmelde oder mein Kind in die Schule schicke
    ist dort vielleicht auch jemand tätig, der 58 Jahre alt ist und drei Kinder hat, aber das wirkt
    sich auf die Gebühr für den Führerschein nicht so aus. Hier werden diese Kosten aufgefangen. An
    der Musikschule fließen sie zumindest teilweise in die Entgelte ein. Essen zu gehen und die
    Markenjeans sind aber auch nicht wirklich billiger geworden.
    
Ob wir alle weniger Geld haben, führt direkt in eine politische Diskussion über
    Lohnzuwachs und Umverteilung - dafür ist hier nicht der Ort.
  
  
    Mehr Kinder als vor 30 Jahren haben wir im Schnitt nicht, also müsste pro Kind mehr Geld da
    sein, aber daran schließt sich subito presto die Erörterung an, ob wir nicht auch mehr nach
    Mallorca fliegen, höherwertige Autos fahren, mehr Geld für (Unterhaltungs-) Elektronik ausgeben,
    mehr für angesagte Kleidung anlegen. Man hört als Lehrer, wenn man erwähnt, dass eine eigene
    Gitarre guter Qualität sich lohnen würde tatsächlich "Dafür haben wir gerade kein Geld, die
    Kinder haben gerade alle ein Handy bekommen.", was im Klartext ein Smartphone mit Obstlogo
    bedeutet.
  
  
    Wir haben definitiv einen anderen Lebensstil, und der ist so selbstverständlich, dass er gar
    nicht mehr hinterfragt wird. Wir haben mehr Freizeit, die muss gefüllt werden, und wer füllt die
    schon mit Gitarre lernen, Yoga üben oder gar
    mit dem Erlernen einer Fremdsprache, um vielleicht ein Buch in der Originalsprache lesen zu
    können - alles Dinge, die in erster Linie Zeit und Mühe kosten, nicht Geld...
  
  
    Trotzdem probieren derzeit viel mehr Kinder als früher, ein Instrument zu erlernen, und das ist
    gut so! Natürlich hören manche davon nach einiger Zeit wieder auf, weil Begabung, Lust oder
    Motivation nicht reichen. Ich meine auch, dass heute viel mehr Kinder Hobbies wie Reiten, Tennis
    und dergleichen (die früher als teuer galten) ausprobieren dürfen.
  
  
    Wie man mit dieser Problematik umgeht ist jedermanns Privatsache. Der eine sucht sich die
    günstigste Unterrichtsmöglichkeit (immer wieder mit dem Ergebnis, dass die Geschichte in einer
    Sackgasse endet, das Kind vieles um- und neu lernen und sich an einen neuen Lehrer gewöhnen
    muss, damit emotional überfordert ist etc.), der andere kann's bezahlen oder sagt sich "das ist
    es mir wert". Zu hinterfragen, was die Dinge, die man so tut und kauft für einen Wert für das
    eigene Leben haben, ist sicher nicht schlecht. Eine gute Alternative ist der Start in einer
    Gruppe allemal. Wenn der Lehrer dem auch positiv gegenübersteht, im Gespräch mit den Eltern
    bleibt und aktiv an der Umstellung von Gruppen dran ist, kann man im Fach Gitarre durchaus weit
    kommen, bis irgendwann die Entscheidung über den klassischen Einzelunterricht ansteht.
  
  Einzelunterricht
  
    Im Gegensatz zum
    Gruppenunterricht hat der
    Schüler im Einzelunterricht den Lehrer für sich allein. Von Anfang an wird ein Mensch
    bestmöglich gefördert. Wenn Begabung, Intelligenz, Fleiß und Lernwille vorhanden sind, stellt
    nur das Können des Lehrers eine Grenze dar, auf langsamere Unterrichtspartner braucht man keine
    Rücksicht zu nehmen. 
Aber auch der andere Fall sollte idealerweise Raum finden: Wenn ein
    Kind Begabung zur Musik hat, aber nicht so schnell begreift wie andere, sollte eine
    Einzelförderung ins Auge gefasst werden, weil sich Musikunterricht auf den Menschen insgesamt
    auswirkt.
  
  
    Als Lehrer steckt man sofort in dem Dilemma, wie genau man sein will oder wie viel Spielraum man
    lässt. Das Kind hält die Gitarre nicht schräg genug, der Gitarrenkopf ist zu weit unten, dadurch
    wird die Greifhand beeinflusst. Oder die Beine stehen zu eng zusammen, die Gitarre wird deshalb
    nicht gerade vor dem Körper gehalten, dadurch wird die Wirbelsäule zwischen Becken und
    Schultergürtel in sich verdreht. Bemerkungen dazu kommen aber nicht an, der Schüler bleibt genau
    so sitzen - was tun?
  
  
    Ein ständiger Balanceakt zwischen Strenge und Laissez-faire beginnt, der Versuch, den
    Schüler auf die Seite des Lehrers zu ziehen, der denkt "das und das müssen wir noch verbessern,
    daran müssen wir noch arbeiten..." 
Man muss also aufpassen, dass die Sache nicht zu
    stressig wird und ganz entschieden von Freundlichkeit geprägt ist. Nicht immer einfach, gerade
    bei jugendlichen Schülern, die häufig mit der Attitüde "Wieso soll ich das denn so
    machen?" in den Unterricht kommen.
  
  
    Alles geht schneller im Einzelunterricht, oder jedenfalls im richtigen Tempo für den
    individuellen Schüler. Nun habe ich oben ausführlich zu beschreiben versucht, dass der
    Gruppenunterricht in der Anfangsphase durchaus angemessen sein kann und vielleicht auch schlicht
    mehr Spaß macht, und Spaß beim Lernen ist ein wichtiger Faktor! Trotzdem kommt irgendwann der
    Zeitpunkt, wo die Gruppe sich vom Lerntempo her auseinander lebt, oder, vielleicht noch später,
    wo das Besprechen der Interpretation des Schülers so viel Raum einnehmen muss, dass es in der
    Gruppe nicht mehr zu machen ist.
  
  
    Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem auch die Lernenden ein Recht auf individuelle
    Förderung anmelden sollten, die eines der "klassischen Gruppenunterrichtsinstrumente" (Gitarre,
    Blockflöte, Akkordeon, Keyboard) gewählt haben.
    
Sichtbare Lernfortschritte, Leistungen bei Vorspielen, großes Interesse an der Sache
    (lieber Gitarre üben als immer nur an der Spielkonsole sitzen) gehören durchaus zum Thema. Das
    sind Dinge, die Eltern und Lehrer wahrnehmen müssen, und die auch die Politiker in Betracht
    ziehen müssen, wenn sie wieder über Zuschüsse für öffentliche Einrichtungen wie Musikschulen zu
    entscheiden haben.