Gitarre und Musiklehre, U. Meyer

Gitarrengrößen für Erwachsene

Die Gitarre ist kein Instrument mit einer festen Größe. Der Gitarrenbauer entscheidet, wie groß er den Korpus und die Saitenlänge macht, der Spieler entscheidet, was für ihn richtig ist. Trotzdem spielen Erwachsene fast alle eine Standardgröße. Wer Unterricht als Kind oder Jugendlicher hat, gilt irgendwann als "ausgewachsen", und dann bekommt man eine "normal große" oder "vierviertel" Gitarre, fertig. Wenn der Lehrer oder beratende Mensch darauf achtet, ob man 1,62m groß ist und Schuhgröße 38 trägt, oder 1,92 mit Schuhgröße 46, ist man an einer guten Adresse. Auch für Kinder wird häufig sehr früh ein eher großes Instrument gewählt, aber - lernt es sich darauf besser?

Aspekte der Größe

  • Man muss die Gitarre halten; wenn man sitzen möchte, muss sie bei der klassischen Haltung zwischen die Beine passen. Der Korpus sollte also nicht zu groß sein.
  • Ist der Korpus zu groß, hat das Einfluss auf Schultern und Wirbelsäule.
  • Die Saitenlänge sollte nicht so groß sein, dass die Finger gegriffene Töne nur mit Mühe erreichen und halten können.
  • Auch der Abstand der Saiten von einander, der durch den Sattel und die Bohrungen am Steg bestimmt wird, ist für mich ein wichtiger Aspekt.
  • Die Größe des Instrumentes spielt nicht nur eine Rolle beim Unterricht mit Kindern.

Feste Größen bei anderen Instrumenten

Bei Blasinstrumenten ist die Größe dadurch vorgegeben, dass die Luftsäule im Instrument schwingt, und die braucht halt ihren Platz. Man kann die Lage der Grifflöcher bei einer Blockflöte durch die Bauweise (und durch Klappen) in gewissen Grenzen beeinflussen, trotzdem wird ein Kind, dass die Sopranflöte gerade greifen kann, noch nicht Altblockflöte spielen. Wer noch sehr klein ist und Posaune lernen will, nimmt ein Instrument mit Ventilen, weil die Armlänge für die Zugposaune noch nicht reicht.

Klavierspieler mit kleineren Händen werden nicht die gesamte Literatur bewältigen können, weil Klaviertasten eine Standardbreite haben. Gitarristen, die nicht so groß sind könnten sich das Leben erleichtern, wenn sie bei der Wahl ihres persönlichen Instrumentes überlegen, bevor sie kaufen, was alle kaufen. Davon sollen diese und die nächste Seite handeln.

Entwicklung der Gitarre

Barockgitarren

Barock

Im Barock sahen Gitarren sehr anders aus als heute, sie waren schlanker, hatten größere Mensuren bis 70 Zentimetern, eine geringere Saitenspannung und fünf Saitenchöre, also doppelte Saiten wie die Lauteninstrumente. Für die fünf Chöre gab es verschiedene Standardstimmungen, für Solomusik wurden die d- und die A-Saite gerne nach oben oktaviert, sodass die g-Saite tatsächlich die tiefste Saite war.
Im Bild sieht man Barockgitarren nach Matteo Sellas und Stradivari von R. Lechner.

Biedermeier

Aguado

Dionisio Aguado

Ende des 17. Jahrhunderts bekam die Gitarre in Italien sechs einzelne Saiten, aber der Korpus war noch sehr langgestreckt, wie in der Lithografie von Dionisio Aguado (1774 - 1849) zu sehen. Die Gitarre hält er im Bild mit dem von ihm erdachten Stativ. Auch damals machten sich Gitarristen schon Gedanken über Haltungshilfen.

Antonio Torres

Antonio de Torres' Instrumente enstanden in zwei Phasen, da er eine Zeit lang keine Instrumente baute. In der ersten Schaffensperiode baute er noch Gitarren im Stil und mit den Abmessungen von Biedermeiergitarren, in der zweiten entwickelte er die Form der Konzertgitarre, die wir heute für normal halten. Seine Instrumente wurden von den großen Gitarristen der Zeit, namentlich Llobet und Tárrega gespielt.

20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert hat sich die Form der Konzertgitarre nicht groß verändert, allerdings gab es ab den 60er Jahren einen starken Trend zu größeren Mensuren.

Andrés Segovia

Andrés Segovia ist vielleicht der Gitarrist, der die Entwicklung der Gitarre im 20. Jahrhundert am meisten gesprägt hat. Er hat bis ins hohe Alter auf der ganzen Welt konzertiert, viele Werke wurden für ihn geschrieben, und er wurde zum Vorbild für viele Gitarrenspieler.

Nachdem er lange auf einer Hermann Hauser von 1937 gespielt hatte, bekam er von Manuel Ramirez 1969 eine Gitarre mit der großen Mensur von 66,4 cm. Wer in den Jahren danach Gitarre studierte, in intensivem Kontakt mit der Gitarrenszene war und sich eine gute Gitarre zulegen wollte, stand automatisch vor der Frage "65er oder 66 ½?".

Meine Lehrer hatten eine Ramirez beziehungsweise eine Fleta mit dieser großen Mensur, aber ich war schon zu sehr mit Lautenbauern in Kontakt gekommen, und in dieser Szene galt eher "bestelle ein Instrument, das zu deinen Händen passt" als "wenn dir die Mensur zu groß ist, musst du halt besser werden".

Unterschiedliche Mensuren

Zum Glück gibt es für Menschen, die nicht so große Hände wie Herr Segovia haben, Instrumente mit normal großem Korpus bei etwas kleinerer Saitenlänge, auch schon im Preisbereich vernünftiger Einstiegsinstrumente.

Die Mensur
Mensur

Die roten Pfeile markieren Sattel und Stegeinlage. Wenn man eine leere Saite anschlägt, schwingt sie zwischen diesen beiden Punkten - das ist die Mensur oder schwingende Saitenlänge. Was auf Mechanik und Steg noch aufgewickelt ist, zählt nicht.

Wenn der Gitarrenbauer auf einem Instrument mit Standardkorpus den Steg einen halben Zentimeter Richtung Rosette versetzt, muss er auch den Hals einen halben Zentimeter kürzer machen, da am Korpusrand bei Konzertgitarren der zwölfte Bund, also die Mitte der schwingenden Saitenlänge liegt. Schon hat die Gitarre eine Mensur von 64 cm! Auch eine 63er Mensur ist so realisierbar, und somit gibt es mehr und mehr Gitarrenbauer, die bei ihren Instrumenten die Option unterschiedlicher Mensuren anbeiten. Allerdings muss man in Geschäften nach so etwas im höheren Preisbereich länger suchen. Wer eine kleinere Mensur spielen möchte, muss meist bestellen, was ihm vorschwebt und dann nehmen, was er bekommt.

Natürlich kann man den Steg nicht drei oder vier Zentimeter verschieben. Einmal sähe das komisch aus, und dann hängt der Klang einer Gitarre natürlich sehr davon ab, wo der Steg sitzt und die Schwingungen der Saiten auf den Korpus überträgt. Es wäre auch wenig sinnvoll, denn ein Spieler mit kürzeren Finger ist meist auch nicht so groß, braucht also nicht nur eine kürzere Mensur, sondern auch einen kleineren Korpus.

Einen interessanten und detaillierten Artikel von Michael Koch, Mainz, der die Zusammenhänge von Gitarrengröße, Haltung, Spiel mit Fußbank, Stütze oder mit Gurt genau beschreibt, gibt es auf der Webseite des Verbandes deutscher Musikschulen.

Klingen größere Gitarren besser?

Klingen größere Gitarren besser als kleinere? Warum wählt man nicht noch längere Mensuren als 66 cm? Die Menschen werden doch immer größer?

Eine Saite hat eine Masse (Länge mal Querschnitt mal spezifisches Gewicht), die bei einer bestimmten Spannung und Länge einen gewünschten Ton ergibt. Eine kürzere Saite ist beim gleichen Ton schlaffer gespannt, das Verhältnis von Querschnitt zu Länge verschiebt sich. Eine im Verhältnis dickere Saite klingt weniger brillant, weil sie weniger flexibel ist. Deshalb klingen kleine Kindergitarren nicht so, wie von der Holzauswahl und der Bauweise ähnliche, aber größere Modelle.

Lange Mensuren sind also toll, aber wenn man es übertreibt kommt der Faktor Reißfestigkeit und macht den berühmten Strich durch die Rechnung: ist die Mensur zu groß für die Tonhöhe, reißen häufig die Saiten. Außerdem wird die Decke des Instruments wegen der steigenden Saitenspannung stärker belastet. Für höhere Saitenspannungen muss man also die Decken dicker fertigen oder anders beleisten, was sich wiederum auf den Klang auswirkt.

Man könnte also größere Gitarren bauen, müsste sie dann aber wohl tiefer stimmen. Die Chitarronen oder Theorben des Frühbarock haben Spielmensuren bis über 90 cm, aber die beiden höchsten Saiten werden nach unten oktaviert, sodass die dritte Saite die höchste ist. Im Reich der E-Gitarren gibt es neuerdings "Baritone" - Modelle mit Mensuren bis über 70 cm, aber auch diese werden einen oder mehrere Töne tiefer gestimmt.

Männerinstrument?

Wenn man Kinder unterrichtet, hat man anfangs ungefähr gleich viele Mädchen und Jungen dabei. Wenn man Gitarre studiert, ist man oft fast in einer reinen Männerwelt angekommen. Ob das mit der Sperrigkeit des Instrumentes zu tun haben könnte?
Durchschnittlich große Frauen kommen mit normal großen Violinen gut zurecht, da diese wegen der Tonhöhe einfach nicht so groß sind.
Ein Violoncello ist größer als eine Gitarre, und das Spiel darauf braucht auch Kraft, aber mehrere gleichzeitig zu haltende Töne, also Akkorde, spielt man auf Celli deutlich seltener als auf Gitarren. Also gibt es viele erfolgreiche Cellistinnen.
Eine normal große Gitarre, also eine 65er Mensur, ist bequem für einen Mann um die einsachzig mit Männerhänden. Frauen haben selten so große Hände wie Männer - das kann ein Problem sein.

Wer sucht die Gitarre aus?

Spielt ein Mädchen Gitarre, sind die Entscheidungsträger beim Aussuchen des Instruments häufig Männer: der Professor an der Hochschule, der Lehrer an der Musikschule, der Verkäufer im Laden sind häufiger Männer, und Papa bezahlt die Gitarre.

Diese Menschen, die alle nicht über weibliche Erfahrungen verfügen, kommen selten auf die Idee, dass die Gitarre für die ausgewachsene junge Dame womöglich eine kürzere Mensur haben sollte. Zum Glück ist der verstellbare Fahrersitz im Auto bereits erfunden!

Das ist seit Jahrzehnten so. Heute unterrichten die Schülersschülersschüler der Generation Segovia, Pujol, Scheit, Teuchert, und wir tragen deren Erfahrungen mit uns. Da liegt es nicht nahe, sich an Geigen, oder Bratschen, zu orientieren, die durchaus von unterschiedlicher Größe sind, oder von der Lautenszene zu lernen.

Die Arbeit der Greifhand

Greifhand

So sollte man seine Finger in den ersten vier Bünden platzieren können - nicht über Stunden, aber wenn das gar nicht geht, passt die Mensur nicht wirklich zur Hand.

Im Anfangsunterricht ist es sehr wichtig, sich gute Bewegungsabläufe anzugewöhnen. Eine ruhige Greifhand, die ihren Arbeitsbereich locker bedienen kann, ist eine großartige Errungenschaft. Dafür müssen die vier Finger in den ersten vier Bünden kurz hinter dem Bundstab platziert werden können, und zwar gleichzeitig!

Ist die Spielmensur für die Hand zu groß, gewöhnt sich der Lernende sofort an, mit der Hand hin und her zu springen, und zwar schon bei den einfachsten Tonfolgen. Wenn im Unterricht gegriffene Bässe angesagt sind, hat man es oft auch noch mit einem zu breiten Griffbrett zu tun. Das tiefe G auf der E-Saite zu halten, und gleichzeitig auf den hohen Saiten eine Tonfolge zu spielen fällt dem Anfänger auch schon schwer, wenn die Gitarre eine bequeme Größe hat! Auch und gerade Erwachsenen!

Es gibt im Netz ohne Ende Videos von großen Virtuosen, die im Kindesalter auf viel zu großen Gitarren wunderbare Leistungen vollbringen. Was beweist das? Überdurchschnittlich begabte Menschen lassen sich weder von schlechten Startbedingungen noch von schlechten Lehrern oder was auch immer stoppen! Das gilt aber nicht in gleichem Maße für den Durchschnitt!
Auch Gegenbeispiele findet man in Videoportalen: Hochbegabungen im Kindes- und Jugendalter, die auf guten kleineren Gitarren spielend gefilmt wurden.

Den eigenen Weg finden
vierviertel Gitarren

Drei Gitarren mit großem Korpus: Die Hanika in der Mitte hat eine Standardmensur von 65 cm, während die Hanika links, mit gleich großem Korpus, einer Mensur von 63cm hat. Rechts eine 64er Lechner, deren Korpus auch etwas zierlicher ist.

Wenn man Gitarre spielen lernt und sich geschickt dabei anstellt, entwickelt sich die Sache in mehreren Richtungen weiter: man spielt immer schwierigere Stücke, die besonders an die Greifhand immer größere Ansprüche stellen, und man lernt immer mehr über den Klang, und so immer mehr, gute Instrumente zu schätzen.

Wenn man auf Webseiten namhafter Gitarrenbauer sucht, findet man häufig die Option, sich eine kleinere oder größere Mensur und auch Sattelbreite auszusuchen. Gitarren mit deutlich kleinerem Korpus und Mensurlängen unter 62cm sind schwieriger, da wird man die Leute ansprechen müssen. Eine richtig gute und damit auch teure Gitarre, die zu einer Person unter 1,60m so passt, wie eine "normale" zu einem 1,80 großem Menschen habe ich "einfach so" in einem Laden noch nicht gesehen. Aber es sollte möglich sein, auch im oberen Preissegment eine Gitarre zu finden, die einen nicht permanent überfordert, sondern die hilft, und die toll klingt!

Faustregel nach Lind

Auf der Seite der EGTA (european guitar teacher's association) gibt es sehr gute Artikel zum Thema, Tabellen, die Körpergrößen Mensuren zuordnen (ich sollte eine 63er spielen) und die berühmte Faustregel nach Lind: "Bei aufrecht hingestellter Gitarre wird der Ellenbogen am 12. Bund auf die Zarge gestützt und der Unterarm mit seiner Außenseite an den Gitarrenhals gelegt. Die Gitarre passt, wenn der deutlich sichtbare äußere Knöchel des Handgelenks zwischen ersten und zweiten Bund zu liegen kommt." (Es steht dort "Zur ersten groben Orientierung dient der 'Ellenbogentest' nach Ekard Lind..." - Hervorhebung von mir.)

Diese Faustregel mit dem Ellenbogen und dem Handknöchel mag für Männer zutreffen, aber haben Frauen durchschnittlich wirklich so große Hände wie Männer?

Unbequeme Griffe

Obwohl Fotos hier nicht wirklich viel helfen, weil es ja um Bewegungsabläufe geht und darum, wie locker oder wie verkrampft und angestrengt man aus der einen Situation in die nächste kommt - hier ein paar Beispiele für unbequeme Griffe:

Überstreckung 1
Bach, Präludium Takt 15

Drei Beispiele aus nicht einmal besonders schwierigen Gitarrenstücken: hier ein Takt aus Bachs D-Moll-Präludium, (original C-Moll für Tasteninstrument bzw. Laute), bei dem man im 1. Bund das tiefe F greifen darf, und dazu mit dem kleinen Finger einen Barrégriff im fünften Bund auf den drei Diskantsaiten.

Griff bei Cano1
weiter Griff bei Cano 1

Zwei Takte aus der Romance von A. Cano. Fotografiert ist der Griff am Anfang von Takt 10. Vor und nach dem hohen dis im elften Bund muss der Spieler mit dem 3. Finger im achten Bund das c greifen, was eine gewisse Flexibilität erfordert.
Es kommt also nicht nur auf die Handgröße an, sondern auch auf die Streckfähigkeit.

weiter Griff bei Cano 2
weiter Griff bei Cano 2

Nochmal zwei Takte aus der Romance: nach dem hohen cis mit dem vierten Finger greift man das h mit dem dritten Finger im siebten Bund - auch nicht gerade einfach. Solange man nur Stücke im Schwierigkeitsgrad von Greensleeves spielt, hält man seine Gitarre vielleicht nicht für groß...

Ludovico - Fantasie, Laute

Die Beispiele in dieser Reihe sind für fortgeschrittene Spieler:
In A. Mudarras Fantasie, die den Harfenstil des Ludovico imitiert, darf man diesen Griff über fünf Bünde machen.

Ludovico - Fantasie

Ich weiß gar nicht, ob er im Bild links auf der Laute (Mensur 58,5) oder hier auf der Gitarre (65er) unbequemer aussieht - der Winkel des Halses macht sicher auch etwas aus.

El Marabino, Takt 11

In A. Lauros Walzer "El Marabino", greift man mit großem Barrégriff in der 1. Lage Eis, eis, gis, cis und gis auf der hohen e-Saite, danach muss der zweite Finger zum fis...

Sattelbreiten

Wie bequem eine Gitarre zu greifen ist, hängt nicht nur von der Mensurlänge, sondern meiner Ansicht nach auch ganz entscheidend von der Sattelbreite und der Aufteilung der Saitenrillen im Sattel ab. Ich schreibe extra "meiner Ansicht nach", denn die Aufteilung der Saiten auf Konzertgitarren ist fast ein Tabuthema: das Griffbrett einer Konzertgitarre muss breit sein!
Es gibt aber in letzter Zeit häufiger Gitarren mit etwas schmalerem Griffbrett, gerne solche mit Cutaway, die Spieler ansprechen sollen, die eigentlich von der Westerngitarre her kommen.

Messen wir in der Längsrichtung: Vom 1. bis zum 5. Bundstab (Überstreckung über fünf Bünde) sind es 12,7 cm auf einer 65er Mensur; auf einer Gitarre mit 63er Mensur 4 mm weniger. Das klingt nicht nach viel.
Sollte jemand, dessen Finger ungefähr einen Zentimeter kürzer sind (wie misst man das exakt?) als die eines Menschen, der eine "normale Gitarre" spielt, wegen dieser 4mm eine Gitarre kaufen, die eine 63cm Mensur hat? Es kommt doch auch auf die Streckfähigkeit der Finger an?

G-Dur-Griff

G-Dur: für Anfänger erst mal schwierig, weil es ungewohnt ist, einen Finger ganz einzurollen, und andere weg zu strecken.

Quer über das Griffbrett gemessen sind die Unterschiede noch geringer. Dabei liegt in dieser Richtung, das sieht man besonders gut in der Arbeit mit erwachsenen Anfängern, ein zentrales "gymnastisches" Problem beim Greifen: Beim G-Dur-Akkord zum Beispiel muss man den Ringfinger stark "eingerollt" auf den 3. Bund der hohen e-Saite und gleichzeitig den Mittelfinger weit entfernt auf den 3. Bund der tiefen E-Saite setzen. Der Mittelfinger muss aber genug "Wölbung" haben, sodass die Nachbarsaite, auf der der Zeigefinger steht, nicht abgedämpft wird.

Das braucht Platz, denn jeder Finger hat einen gewissen Durchmesser, aber der Platz sollte nicht zu üppig bemessen sein, denn die Finger können nun mal nicht weiter, als sie können, vor allem, wenn sie nicht so lang sind. Die "Gelenkigkeit" kann zwar trainiert werden, ist aber stark abhängig von den Genen, das haben wir alle schon im Zirkus bei der Schlangenmensch-Nummer geahnt.

Standardmaße

Das Standardmaß der Halsbreite am Sattel einer Konzertgitarre ist 52 mm. Gitarrenhälse werden so gemacht, Manufakturen kaufen Hälse vorgefertigt, auf diesen Wert kann man sich ziemlich verlassen. Wie aber werden die Saiten verteilt?

Der Sattel, der auf einer 63er Mensur (einer guten Gitarre für immerhin deutlich über 300 €) unter den Saiten sitzt, hat diese Breite von 52mm, und zwischen den Außenkanten der Rillen liegen 44 mm. So ist das auch in einem Artikel auf der Seite der EGTA für eine normale Gitarre beschrieben.

Für kleinere Gitarren sind dort aber kleinere Werte für die Rillenaufteilung angegeben. Die finden sich auf deutlich kleineren Gitarren auch, aber eine 63er Mensur ist ja keine "wirkliche Kindergitarre" mehr, sondern wird bisweilen als "Damengitarre" oder "Señoritamodell" bezeichnet. Nun, dass Gitarristinnen kleinere Mensuren spielen dürfen habe ich oben ja wortreich gefordert, aber warum sind die Saitenabstände nicht angepasst und - macht das überhaupt etwas aus?

Nochmal zurück nach vorne und auf null: Menschen mit großen Händen bemerken solche Unterschiede meist gar nicht, und da - siehe oben - Männer die Gitarrenwelt dominieren, sind die Zustände ziemlich zementiert. Wer hier kritisch nachfragt, kann sich auf viel Unverständnis, mindestens Staunen gefasst machen.

E-Gitarre und Laute

Müssen die Saiten am Sattel so weit auseinander liegen? Die erste E-Gitarre, die mir in die Finger kommt, hat eine Sattelbreite von 42mm, und die Saiten sind auf 36mm verteilt. Die ist aber nicht für Mädels gemacht! Die sechschörige Tieffenbrucker-Laute bringt ihre 11 Saiten auf einem Hals von 41mm unter und verteilt sie auf 37mm! Mit einer Mensur von 64cm ist das Instrument eher groß; bequem für die anspruchsvolle Sololiteratur sind Lauten unter 60 cm. Es handelt sich bei dem Instrument also keinesfalls um eine Laute für Kinderhände.

E-Git Sattel

E-Gitarrensattel meiner Cort MGM 1 mit dem 52mm - Standardsattel für Konzertgitarre zum Vergleich.

sechschörige Sattel

Eine genaue Kopie der "magno dieffopruchar" von 1550 mit dem gleichen Gitarrensattel. Erstaunlicherweise kann man auf dem schmalen Lautenhals spielen!

Das Hauptargument bei Konzertgitarristen für die weiten Abstände ist sauberes Greifen. Nun spielt man auf einer E-Gitarre selten mehrstimmige Fantasien, aber ein G-Dur-Griff sollte dort auch ordentlich klingen und Nachbarsaiten nicht abgedämpft werden. Auf einer Renaissancelaute spielt man sehr wohl polyphone Musik. Tatsache ist: Frauen haben normalerweise nicht nur kürzere, sondern auch schmalere Finger, sie müssten also mit weniger Platz gut auskommen können...

Vorbilder und Tradition

Wie bei der Mensurlänge glaube ich, dass bei der Vereinheitlichung der Saitenabstände die großen Gitarristen des beginnenden 20. Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben. Andrés Segovia zum Beispiel war nicht nur ein Kleiderschrank, er hatte auch nicht wirklich schmale Finger. Es fragt sich, ob wir wirklich immer noch die Saitenabstände kopieren müssen, die für ihn nötig waren?
In der Lautenszene ist es völlig üblich, dass der Kunde dem Lautenbauer sagt, wie er die Abstände an Steg und Sattel machen soll. Allerdings orientieren sich Schüler oft an ihren Lehrern, bevor sie ihre individuellen Abständen bestellen.

Vorsichtiges Vortasten

In den Bildern unten sieht man zwei Gitarren mit 63cm Mensur, die ich mit schmaleren Sätteln ausgestattet habe. Der Originalsattel liegt jeweils zum Vergleich auf den Saiten.

schmalerer Sattel

Auf dieser 63er Mensur ist ein Sattel für 50mm Halsbreite, die Saiten sind auf 42mm verteilt. Der Originalsattel (52mm / 44mm) liegt zum Vergleich oben auf den Saiten.

noch schmalerer Sattel

Hier habe ich einen Sattel für 48mm Halsbreite mit einem Saitenspacing von 41mm auf die Gitarre gesteckt; das Original ist wieder zum Vergleich dabei.

Spürt man den Unterschied zwischen 44 und 41 Millimetern denn überhaupt?! Selbst wer das anzweifelt, weil für seine Pranken Gitarren generell klein sind, sollte nachvollziehen können: mit kürzeren Fingern ist es schwieriger, auf einer Basssaite einen Ton zu halten und gleichzeitig einen Lauf auf den Diskantsaiten zu spielen. Wenn die Saiten dichter neben einander liegen, ist dieses Problem verringert, und Gitarre spielen ist immer noch schwierig genug!

Die 63cm Mensur hat 96,9 % der Länge einer 65er Mensur. Eine Saitenaufteilung auf 42mm entspricht 95,4% von 44mm; die von 41mm 93,1%. Wenn man jetzt noch den Größenunterschied zwischen Händen in Pozent angeben könnte, könnte man noch mehr Zahlen aufschreiben, aber entscheidend ist das Spielgefühl!

zu kurz gegriffen

Wahrscheinlich wird der Ton auf der h-Saite nicht sauber klingen, weil ich zu weit vom Bundstab entfernt greife.

Es geht um die Sauberkeit

Wie schon oben gesagt: man will auf einer Gitarre sauber greifen können. Wahrscheinlich ist es deshalb nicht sinnvoll, die Saitenaufteilung einer E-Gitarre oder Renaissancelaute für eine Konzertgitarre radikal zu übernehmen, da vor allem in neuerer Gitarrenmusik Griffe verlangt werden, die etwas mehr Platz für die Finger nahelegen. Man will ja nicht ständig eine Nachbarsaite beim Greifen abdämpfen.

Aber "sauber spielen" bedeutet nicht nur, dass man genug Platz zwischen den Saiten hat, um die Nachbarsaite beim Greifen garantiert nicht zu berühren.

Es bedeutet auch, dass man mit den Fingern gleichzeitig zwei oder mehr Töne greifen kann, und dabei jeden der Bünde so erreicht, dass die Saite am Bundstab sauber abgeknickt wird, damit der Ton nicht surrt. Und dass man nicht wegen der großen Spanne zwischen weit entfernten Saiten zwei gegriffene Töne zueinander zieht, was ja die Tonhöhe beeinflusst - das ist etwas, was man im Anfangsunterricht ständig beobachtet.
Sauber zu spielen ist also immer eine Frage von Können, und wenn man nicht zu den Superbegabungen gehört manchmal auch eine Kompromissfrage.

Saite verzogen

Hier ziehe ich die tiefe E-Saite nach innen - davon wird die Intonation unsauber.

Gegen diese Arten "Unsauberkeit" wären engere Saitenabstände ein brauchbares Mittel. Also würde ein bisschen mehr Vielfalt kaum schaden und wäre im Gegenteil ein Gewinn für Menschen mit schmalen Fingern.

Deshalb behaupte ich nochmals: auf einer 63er Mensur einfach die Saitenabstände einer 65er zu übernehmen, ist nicht logisch, und wenn sich der Gitarrenbau weiter eintwickeln will, sollte er vielleicht die Richtung "Weg von der Einheitsgitarre - mehr Vielfalt für unterschiedliche Spieler bei hoher Qualität" ins Auge fassen. Tatsächlich findet man auf den Webseiten von immer mehr Gitarrenmanufakturen unter "Optionen" die Möglichkeit, Instrumente mit kürzeren Mensuren und schmaleren Hälsen zu bestellen.

schmalerer Sattel auf schmalem Hals

Die Yamaha Silent Guitar hat eine Sattelbreite von 50mm und verteilt die Saiten auf 41mm. Zum Vergleich wieder der Standardsattel auf den Saiten.

Wenn man sich dazu durchringt, eine schmalere Saitenaufteilung zu probieren, weil man kürzere und schmalere Finger als andere und genug davon hat, sich mit Griffen zu plagen, die anderen mühelos gelingen, kann man sich zunächst vielleicht mit einem eingepassten Billigsattel wie in den Bildern oben behelfen. Wer sich am Aussehen stört, kann nach der Testphase ja einen passenden Sattel beim Gitarrenbauer fertigen lassen. Davon wird der Hals zwar nicht schmaler, aber es sieht doch hübscher aus.

Größe: Praxistest

kleinere Gitarre

Zur Zeit - im schönen Monat Mai - kann ich endlich eine Gitarre probieren, wie sie mich schon lange interessiert hat: der Lauten- und Gitarrenbauer R. Lechner hat eine Gitarre nach einer Manuel Ramirez von 1912 mit etwas kürzerer Mensur und schmalerem Hals gebaut.
Das Instrument selber ist auch eher zierlich - rechts im Bild ist sie neben meiner Burguet zu sehen, die zwar auch "nur" eine 65er Mensur hat, deren Korpus aber ziemlich voluminös ist.

Normalerweise würde ja niemand jemals auf die Idee kommen, dass ich, mit 176 cm Länge ein ziemlich durchnittlicher Erwachsener, eine kleinere Gitarre spielen sollte, außer man liest die Tabelle über Körper- und Gitarrengrößen auf der Seite der EGTA, oder man trifft alle Jahre wieder als Juror bei Jugend musiziert diesen Kollegen, der knapp durch die Tür passt...

Trotzdem hat mich die Idee lange verfolgt, und jetzt darf ich also eine Gitarre mit 64cm Mensur und 49er Halsbreite (und etwa 41 mm für die Saiten, deshalb der Austauschsattel aus Ebenholz) probieren, indem ich fröhlich mein Repertoire spiele und zwischendurch immer wieder zur Burguet greife, um zu vergleichen. Klanglich tun sich die Gitarren nicht viel (obwohl sie vom Charakter her sehr verschieden sind), aber das Spielgefühl bei schwierigen Stellen, großen Streckungen, unbequemen Griffen - ich finde es toll! Ich kann nur empfehlen, so etwas mal zu probieren!

Ist es Einbildung? Natürlich werde ich auch älter und habe als viel unterrichtender Mensch nicht das Training des konzertierenden Gitarristen, außerdem hatte ich schon immer diese nicht besonders gelenkigen Wurstfinger... es gibt jedenfalls viele Gründe, das Dogma "Es gibt nur eine Gitarrengröße, und wenn es eine Alternative zur 65er Mensur gibt, dann ist es eine 66,5er!" für sich zu überprüfen.